Als Jesus Fleisch angenommen hat durch Maria



Endlich war „die Fülle der Zeit gekommen“ (Gal 4,4):
Am sechsten Schöpfungstage war der Mensch erschaffen worden, indem er aus Erde durch die Kraft und Weisheit der Hand Gottes gebildet wurde. Dem entspricht, dass am Beginn des sechsten Zeitalters der Erzengel Gabriel zur Jungfrau gesandt wurde, und nachdem diese ihre Zustimmung gegeben hatte, der Heilige Geist über sie kam, wie göttliches Feuer, das ihren Geist entflammte und ihren Leib vollkommen rein und heilig machte. „Die Kraft des Allerhöchsten überschattete sie“, damit sie eine solche Glut überhaupt ertragen konnte. Durch das Wirken dieser Kraft wurde sogleich der Leib [Jesu] gebildet, die Seele erschaffen und zugleich beides mit der Gottheit in der Person des Sohnes geeint. So sollte ein und derselbe Gott und Mensch sein, wobei jede Natur ihre Eigenart bewahrt.
O wenn du doch, und sei’s auch noch so wenig, nachfühlen könntest, was für ein gewaltiger Feuerbrand da vom Himmel fiel, welche Erfrischung zuteil wurde, welcher Trost sich ergoss, wie die jungfräuliche Mutter hier erhöht, wie das Menschengeschlecht hier geadelt wurde, wie sehr sich die Majestät herabgeneigt hat!
Wenn du hören könntest, wie die Jungfrau jubelnd singt, wenn du mit deiner Herrin ins Bergland [von Judäa] aufsteigen, die liebevolle Umarmung der Unfruchtbaren und der Jungfrau sehen könntest, und den Gruß, in dem der kleine Knecht den Herrn, der Herold den Richter, die Stimme das WORT erkannte:
Ich glaube, dann würdest du mit der seligen Jungfrau in süßer Melodie jenes heilige Lied singen: „Meine Seele preist die Größe des Herrn“, und du würdest, wie der kleine Prophet, aufspringen vor Freude über die wunderbare jungfräuliche Empfängnis und voll Jubel anbeten!

Quelle: Hl. Bonaventura (1221-1274) Franziskaner, Kirchenlehrer
Baum des Lebens, Die erste Frucht, 3 (übersetzt von Marianne Schlosser, St. Ottilien 2012)