Am 5.11. jährt sich der 70. Todestag des seligen Bernhard Lichtenberg: Priester und Märtyrer
Von Pater Lothar Groppe SJ
(Quelle: Christliches Forum) Der selige Dompropst Bernhard Lichtenberg ist der erste deutsche Priester, der von der katholischen Kirche offiziell zum Märtyrer des Nationalsozialismus erklärt wurde. Am 5. November 2013 gedenkt sie seines 70. Todestages.
Der furchtlose Anwalt der Menschenrechte kann in unserer Zeit besonders allen, die in Kirche, Staat und Gesellschaft ein Amt bekleiden, in Erinnerung rufen, sich bei ihren Entscheidungen nicht von dem leiten zu lassen, was ankommt, sondern worauf es ankommt.
In der dunklen Zeit des Nationalsozialismus hielt Bernhard Lichtenberg die Fackel der Menschlichkeit hoch und bezahlte die Treue zu den Geboten Gottes mit Gefängnishaft, die bei seiner Überführung in das Konzentrationslager Dachau zu seinem Tod führte.
Bernhard Lichtenberg war ein Zeitgenosse des seligen Pater Rupert Mayer, der sich gleich diesem für die Rechte Gottes und der Menschen engagierte.
Er wurde am 3. Dezember 1875 im schlesischen Ohlau als ältester von vier Brüdern geboren. Eine Schwester starb bald nach ihrer Geburt.
Der Vater, dessen Familie aus Böhmen stammte, betrieb in Ohlau ein Kolonialwaren- und Delikatessengeschäft. Er hatte keinen leichten Stand in dem überwiegend protestantischen Städtchen, denn den evangelischen Beamten und Angestellten war es verboten, bei einem Katholiken zu kaufen. Dieser Schaden wurde allerdings dadurch gemindert, dass die treukatholische Landbevölkerung der Umgebung zu seinen Stammkunden zählte.
Die Mutter stammte aus Schlesien. Beide Eltern waren fest im katholischen Glauben verwurzelt und diese Atmosphäre hat den jungen Bernhard ebenso nachhaltig geprägt wie seine Geschwister.
Auf dem Ohlauer Gymnasium erwarb sich Bernhard durch seinen anständigen Charakter und beharrlichen Fleiß die Hochachtung seiner Lehrer, obwohl er keineswegs Primus, sondern nach damaligen Begriffen eher ein guter Durchschnittsschüler war. Freilich dürfen wir nicht übersehen, dass die damaligen Anforderungen eines Gymnasiums erheblich über denen der Gegenwart lagen.
So hat der „Gefangene im HERRN“, wie sich Prälat Lichtenberg in seinen Briefen aus dem Gefängnis bisweilen bezeichnete, 147 lateinische Hymnen des Breviers ins Deutsche übertragen, obwohl er in Latein im Abiturzeugnis nur ein „genügend“ erhielt.
Nach dem Abitur im März 1895 ging Bernhard für ein Semester an die Universität Innsbruck. Anschließend wechselte er in sein Heimatbistum Breslau über, wo er bis zu seiner Priesterweihe am 21. Juni 1899 studierte.
Seine erste Kaplansstelle war Neiße, das „schlesische Rom“. 1900 wurde er in den Berliner Raum versetzt. Damals gehörten die Mark Brandenburg, Berlin und Pommern noch zur Fürstbischöflichen Delegatur Breslau.
Auf seiner Fahrt nach Innsbruck hatte der junge Student auch München kennengelernt und nach Hause geschrieben, er werde sich wohl niemals in einer Großstadt wohlfühlen. Am Ende seines Lebens meinte er jedoch, Berlin sei ihm zur zweiten Heimat geworden.
Nach mehreren Kaplansjahren wurde Lichtenberg im September 1905 zum Kurat In Friedrichsfelde-Ost, 5 Jahre später in Berlin-Pankow ernannt. 1913 wurde er Pfarrer der Gemeinde Herz Jesu in (Berlin-)Charlottenburg, wo er bereits als Kaplan gewirkt hatte.
Es war eine Riesenpfarrei mit 36.000 Seelen. Die Kirche hatte aber nur 467 Sitzplätze. Dem neuen Pfarrer war klar, dass bei dieser Größe keine intensive Seelsorge möglich war.
Als Seelsorger ein unermüdlicher Arbeiter
Deshalb gründete er im Lauf der nächsten Jahre 5 Kuratien. Für sie bettelte er große Geldbeträge zusammen, damit sie eigene Gotteshäuser bauen konnten. Mehrmals erhielt er bayerische Strafmandate von 3 Reichsmark, ersatzweise 1 Tag Haft, da es einem Preußen nicht gestattet sei, in Bayern zu betteln. Lichtenberg war Seelsorger mit Leib und Seele, ein unermüdlicher Arbeiter.
Trotz seiner vielfältigen Aufgaben in der Pfarrei gab er noch zahllose Stunden Religionsunterricht in Volksschulen und höheren Schulen. Er hatte ein Herz für seine Schüler und diese verehrten ihren Lehrer über ihre Schulzeit hinaus. Nie wurde über ihn abfällig geredet und selbst der Spitzname, den er von einigen Schülern erhielt, drückte ihre Wertschätzung aus. Sie nannten ihn den „Papst“.
Beim Pfarrer von Herz- Jesu artete die Arbeit nie in Aktivismus aus, sondern stets stand die Seelsorge im Vordergrund. Mit der Ernennung zum Pfarrer von Herz Jesu wurde Lichtenberg mit der Seelsorge für die katholischen Soldaten des Gardegrenadierregiments 3 in Charlottenburg betraut.
Eifer für den Religionsunterricht
Von seinem Elternhaus wußte Lichtenberg um die Bedeutung der religiösen Erziehung. Deshalb setzte er alle Hebel in Bewegung, dass alle katholisch getauften Kinder auch katholischen Religionsunterricht bekamen. Sein Prinzip war: Wo es auch nur ein katholisches Kind gibt, muß es auch katholischen Religionsunterricht geben.
Ein solcher Eifer dürfte in unseren Tagen manchen Religionslehrer und Seelsorger zur ernsten Gewissenserforschung mahnen, zumal das religiöse Wissen zumeist erschreckend gering ist.
Eines Tages wurde eine Abordnung polnischer Gläubiger, die etwa ein Drittel seiner Gemeinde ausmachten, bei ihm mit Sonderwünschen vorstellig. Pfarrer Lichtenberg gab ihnen zur Antwort: „Ich bin von meinem Bischof hierher gesandt, weder um zu germanisieren, noch um zu polonisieren, sondern um zu pastorisieren.“
Im Februar 1919 wurde Lichtenberg mit Genehmigung seines Bischofs Mitglied der Stadtverordneten- bzw. Bezirksversammlung von (Berlin-)Charlottenburg. Dieses Amt bekleidete er bis 1931.
Als einmal behauptet wurde, die Kirche habe im Krieg Waffen gesegnet, brachte Lichtenberg bei der nächsten Sitzung ein Rituale (kirchliches Segensbuch) mit und forderte seine Kollegen auf, zu prüfen, ob es eine Waffensegnung gebe.
Gegen Abtreibung und sexuelle Verirrungen
Schon damals spielte die Abtreibung eine große Rolle. Hierzu bezog Lichtenberg am 15. Mai 1929 Stellung:
„Die Bekämpfung der Abtreibung muß als eine der wichtigsten sozialhygienischen Aufgaben der Gegenwart bezeichnet werden… Nicht zur Empfangsverhütung darf das Volk erzogen werden, um es vor der Abtreibung zu bewahren, nicht durch Beelzebub darf der Teufel ausgetrieben werden, sondern durch Erziehung zur Selbstbeherrschung, zur absoluten geschlechtlichen Enthaltsamkeit vor und außerhalb der Ehe und zur vernünftigen Abstinenz in der Ehe.“
Natürlich stießen solche Worte damals ebenso auf Ablehnung wie heute.
Doch Lichtenberg war kein utopischer Schwärmer, sondern betonte gleichzeitig, man müsse mit den sittlichen Grundsätzen die soziale Tat verbinden, konkret, es müßten familiengerechte Wohnungen gebaut werden. Der Kirchenvorstand seiner Gemeinde habe auf einem der Pfarrei gehörenden Grundstück einen Plan für 300 Siedlungshäuser entworfen, um einen Beitrag zur Behebung der Wohnungsnot zu leisten.
Lichtenberg ging häufig in politische Versammlungen der verschiedenen Parteien, um den katholischen Standpunkt zu vertreten. Eines Abends zog er nach der Andacht mit einer Schar seiner Getreuen zu einer Veranstaltung des Ludendorffschen Tannenbergbundes.
Es ging dort um die angebliche „unheilige Allianz von Juden, Freimaurern und Jesuiten“. Lichtenberg hörte aufmerksam zu und machte sich etliche Notizen. Als der Redner geendet hatte, meldete er sich zu Wort und widerlegte dessen Ausführungen Punkt für Punkt. Die Versammlung endete mit einem begeistert gesungenen „Fest soll mein Taufbund immer stehen!“
Erste Konflikte mit Nationalsozialisten
1931 kam es zum ersten Zusammenstoß mit den Nazis. Lichtenberg, der zum Vorstand des „Friedensbundes deutscher Katholiken“ gehörte, lud gemeinsam mit Pater Stratmann zur Aufführung des Films „Im Westen nichts Neues,“ nach dem Roman von Erich Maria Remarque ein.
Da der Berliner Gauleiter der NSDAP, der spätere Reichspropagandaminister Dr. Joseph Goebbels, gegen diesen Film eine heftige Kampagne inszenierte hatte, wurde dieser zunächst verboten. Einige Monate später wurde er jedoch in überarbeiteter Fassung für die Aufführungen in geschlossenen Veranstaltungen freigegeben. Im Kampfblatt des Herrn Goebbels, „Der Angriff“, wurde Lichtenberg hierauf der „viehischen Totenschändung“ geziehen.
Durch seine Einladung zur Filmvorführung habe er die Gefallenen verhöhnt und sei „so abgründig gemein, dass nur sein Alter ihn davon schützen kann, nach dem Gesetz in die Zwangspension geschickt zu werden …. Das deutschbewußte Berlin läßt sich eine so freche Provokation nicht gefallen, es erhebt millionenfach den Ruf: „Raus, zum Tor hinaus mit Monsignore Lichtenberg!“
Nach der „Machtergreifung“ blieb Lichtenberg seiner antinazistischen Haltung treu, hatte er doch, im Gegensatz zu den meisten Zeitgenossen, Hitlers Buch „Mein Kampf“ gründlich studiert und mit kritischen Glossen versehen. Bei seiner späteren Verhaftung fand man dieses Exemplar und sah in Lichtenbergs Randbemerkungen nicht zu Unrecht einen unüberbrückbaren Gegensatz zur Weltanschauung des Nationalsozialismus.
Judenfeindliche Maßnahmen des NS-Regimes
Nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 begann die erste Welle antisemitischer Maßnahmen des Regimes. Ihren ersten Höhepunkt erreichten die Aktionen mit dem von NSDAP und SA organisierten Boykott gegen jüdische Geschäfte, Waren, jüdische Ärzte und Rechtsanwälte als Vergeltung für die Stimmungsmache von Juden in England und den USA. So schrieb der „Daily Express“ am 24.3.1933 in Schlagzeilen: „Judea declares war on Germany. – Jews of all the world unite in action – Boycott of German goods.”
Der Münchner Kardinal Faulhaber bat am 30.März 1933 die Kardinäle von New York und Chicago, ihren ganzen Einfluß aufzubieten, „dass die Demonstrationen gegen die deutsche Regierung aufhören, um damit dem deutschen Judenboykott den Boden zu entziehen.“
Da Lichtenberg bereits vor 1933 mit den Nazis die Klingen gekreuzt hatte, behielten sie ihn nach der „Machtergreifung“ im Auge. Im Sommer 1933 kam es zur ersten Haussuchung und Verwarnung durch die Gestapo. Noch 6 x bis zu seiner Verhaftung wurde er von ihr vorgeladen. Bei seinen Verhören ging es um folgende Konfliktbereiche:
Die Wahrnehmung politischer Verantwortung während der Weimarer Republik (politischer Katholizismus), den Einsatz für die vom nationalsozialistischen Alleinvertretungsanspruch bedrohten katholischen Vereine (die durch das Reichskonkordat garantiert waren), die Abwehr der Bedrohung im Kernbereich kirchlichen Lebens und die Verteidigung der Menschenrechte verfolgter Juden, nichtarischer Katholiken und sog. „lebensunwerten Lebens.“
In Vertretung des Berliner Kapitularvikars Steinmann ordnete Lichtenberg die Verlesung eines Artikels im „Osservatore Romano“ über „Konkordatsfragen in Deutschland“ von allen Kanzeln der Diözese für den 21. Juli 1935 an. In ihm ging es um die zahlreichen Rechtsbrüche der Nazis, die in deutschen Zeitungen nicht behandelt werden konnten.
Hierauf ersuchte das Geheime Staatspolizeiamt am 24. Juli 1935 den Reichskirchenminister – allerdings vergeblich – gegen Lichtenberg Strafanzeige wegen Landesverrats, Kanzelmißbrauchs und Verstoßes gegen das Heimtückegesetz zu stellen. Im gleichen Sommer protestierte Lichtenberg gegen die Verbreitung des Devisenschieber-Liedes, da es die
Volksgemeinschaft zersetze und das religiöse Empfinden verletze.
In den Jahren 1935/36 fanden vor dem Landgericht Berlin etwa 40 Devisenprozesse gegen katholische Priester und Ordensleute wegen angeblicher oder tatsächlicher Verstöße gegen die rigorosen Devisenschutzbestimmungen statt.
Den Anschuldigungen lagen meist finanzielle Verpflichtungen zugrunde, ausländische Schulden zu tilgen oder im Ausland befindliche Ordensangehörige finanziell zu unterstützen. Diese Motive wurden von der NS-Propaganda systematisch verfälscht, um die Glaubwürdigkeit der Kirche zu untergraben. Am 4. Oktober 1935 wurde vom Reichsinnenministerium Verbreitung und öffentlicher Vortrag dieses Liedes tatsächlich untersagt.
Lichtenbergs Protest gegen die Propagierung des „Pfaffenspiegels“ bei seinem „Pfarrkind“ Adolf Hitler – das Regierungsviertel lag im Bereich der Dompfarrei, zu deren Leitung Pfarrer Lichtenberg 1932 ernannt worden war – blieb allerdings ohne Antwort.
Hilfe für Katholiken jüdischer Herkunft
1938 wurde Lichtenberg mit der Leitung des „Hilfswerkes beim Bischöflichen Ordinariat“ für die katholischen „Nicht-Arier“ (Katholiken jüdischer Herkunft) betraut, das er bis zu seiner Verhaftung innehatte. Neben seinen vielfältigen anderen Verpflichtungen - er war am 18. Januar 1938 von Papst Pius XI. zum Berliner Dompropst ernannt worden – war Lichtenberg unermüdlich tätig, um die pastorale und materielle Notlage der katholischen Nichtarier zu lindern.
Schon vor der Errichtung des Hilfswerkes hatte er im Paulus-Bund, der Vereinigung nichtarischer Christen, mitgearbeitet und am 16. August 1936 in der Hedwigskathedrale für schwer notleidende nichtarische Katholiken sammeln lassen.
Am 9. November 1938 kam es dann zu den Ausschreitungen gegen die Juden, die als „Reichskristallnacht“ unrühmlich in die deutsche Geschichte eingegangen sind. Als „Vergeltung“ für das Attentat des Juden Herschel Grynszpan auf den Legationssekretär Ernst vom Rath in der deutschen Botschaft zu Paris, wurde von Goebbels „spontane Volkswut“ gegen die Juden inszeniert.
Bei diesem Pogrom wurden 91 Juden ermordet, rund 250 Synagogen angezündet oder verwüstet, 7500 jüdische Geschäfte und Wohnungen zerstört und geplündert. Lichtenberg war zutiefst erschüttert, als er die brennende Synagoge sah.
“Lasset uns beten für die Juden”
Am Abend des 9. November hielt er wie gewohnt die tägliche Andacht und gedachte der erschreckenden Ereignisse dieses Tages:
„Lasset uns beten für die verfolgten nichtarischen Christen
und für die Juden.
Was gestern war, wissen wir.
Was morgen ist, wissen wir nicht.
Aber was heute geschehen ist, haben wir erlebt:
Draußen brennt der Tempel.
Das ist auch ein Gotteshaus.“
Obwohl höchstwahrscheinlich auch an diesem Abend Spitzel der Gestapo anwesend waren, geschah – nichts. Nach Kriegsbeginn erweiterte Dompropst Lichtenberg seine abendlichen Fürbitten.
Zunächst gedachte er der verwundeten, gefangenen und gefallenen Soldaten hüben wie drüben. Dann betete er für den Frieden und den Geist des Friedens, für die bedrängten getauften Juden, für die verfolgte Juden, für die Häftlinge, besonders für seine Amtsbrüder in den Konzentrationslagern.
Am 28. August 1941 schrieb er einen Brief an den „Reichsärzteführer“ Dr. Conti. In ihm griff er die Predigt des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, auf, die dieser am 4. August 1941 über die Ermordung der Geisteskranken gehalten hatte.
In Lichtenbergs Schreiben heißt es:
„….Wenn diese Behauptung unwahr wäre, hätten Sie, Herr Reichsärzteführer, den bischöflichen Prediger schon längst als Verleumder öffentlich gebrandmarkt und gerichtliche Klage gegen ihn angestrengt, oder die Geheime Staatspolizei hätte sich seiner bemächtigt. Das ist nicht geschehen.
Sie geben also die Richtigkeit dieser Behauptung zu. Wenn auch die heiligen zehn Gebote Gottes öffentlich ignoriert werden, so hat doch das RStGB (Reichsstrafgesetzbuch) noch Gesetzeskraft. § 211 des RStGB bestimmt: „Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft.“
§ 139 bestimmt: „Wer von dem Vorhaben eines Verbrechens wider das Leben…glaubhafte Kenntnis erhält, und es unterläßt, der Behörde oder dem Bedrohten hiervon zur rechten Zeit Anzeige zu machen, wird …. bestraft.“
Wenn die mit der Strafverfolgung und Strafvollstreckung betraute staatliche Behörde hier keinen Anlaß einzugreifen erkennt, muß jeder deutscher Bürger, den Gewissen und das Amt dazu drängen, sich zu Worte melden. Ich tue es hiermit…
Auf meiner priesterlichen Seele liegt die Last der Mitwisserschaft an den Verbrechen gegen das Sittengesetz und das Staatsgesetz. Aber wenn ich auch nur einer bin, so fordere ich doch von Ihnen, Herr Reichsärzteführer, als Mensch, Christ, Priester und Deutscher Rechenschaft für die Verbrechen, die auf Ihr Geheiß oder mit Ihrer Billigung geschehen, und die des HERRN über Leben und Tod Rache über das deutsche Volk herausfordert.
Ich gebe von diesem Brief der Reichskanzlei, den Reichsministerien und der Geheimen Staatspolizei Kenntnis.“
Am Abend nach Absendung dieses Briefes betete Lichtenberg wieder bei der Andacht: „Lasset uns nun beten für die Juden und für die armen Gefangenen in den Konzentrationslagern, vor allem für meine Amtsbrüder.“
Zwei evangelische Studentinnen aus dem Rheinland, die aus purer Neugier in die Kathedrale gekommen waren , verließen „empört“ die Kirche und meldeten den Vorfall. Ein unbekannter SS-Führer erstattete am 9.4.41 Anzeige wegen „bolschewistischer Propaganda“.
Nun war das Maß voll. Am 23. Oktober 41 wurde Prälat Lichtenberg von der Gestapo verhaftet. Gleichzeitig fand eine Haussuchung statt. Hierbei fanden die Beamten eine für Sonntag vorbereitete Vermeldung, die folgenden Wortlaut hat:
„In Berliner Häusern wird ein anonymes Hetzblatt gegen die Juden verbreitet. Darin wird behauptet, dass jeder Deutsche, der aus angeblicher falscher Sentimentalität die Juden irgendwie unterstützt, und sei es auch nur durch ein freundliches Entgegenkommen, Verrat an seinem Volk übt. Laßt Euch durch diese unchristliche Gesinnung nicht beirren, sondern handelt nach dem strengen Gebot Christi: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
Man brachte Lichtenberg, der als „Pfaffenschwein“ tituliert wurde, ins Hauptquartier der Gestapo. Auf die Frage des vernehmenden Kommissars, was er von den Predigten des Bischofs von Münster halte, gab er zur Antwort: „Mir ist jedes Wort aus der Seele gesprochen.“
Bei seiner Verhaftung war Lichtenberg bereits ein schwerkranker Mann. Seine Beschwerde gegen seine Verhaftung wurde abgewiesen.
Die „Freunde“ der Kirche behaupten immer wieder, es habe zwar in der katholischen Kirche vereinzelt Bekenner und Martyrer gegeben, aber die Bischöfe hätten sie alleingelassen. Nun läßt sich gerade am Beispiel von Dompropst Lichtenberg anhand mehrerer Dokumente beweisen, dass solche Vorwürfe zu Unrecht erhoben werden. Bischof Graf von Preysing richtete mehrere Gesuche um Haftverschonung an die Gestapo . Sie wurden abgewiesen.
Dann bat er um die Verlegung Lichtenbergs in eine Spezialklinik, was sogar vom Staatsanwalt und Gefängnisarzt befürwortet wurde. Jedoch das Justizministerium lehnte ab. Mehrmals besuchte Preysing seinen Dompropst im Gefängnis und bat für ihn um die Genehmigung, in seiner Zelle privat zelebrieren zu dürfen. Doch auch dies wurde abgelehnt.
Am 2. November 41 legte Graf von Preysing in der Hedwigskathedrale eine Fürbitte für den Gefangenen ein. Am 25. Oktober berichtete er Papst Pius XII. von der Verhaftung Lichtenbergs.
Desgleichen informierte Nuntius Orsenigo Kardinalstaatssekretär Maglione über die Verhaftung. Bei Staatssekretär von Weizsäcker intervenierte er zu Gunsten Lichtenbergs. Alles war vergebens.
Nach mehrmonatiger Untersuchungshaft wurde Dompropst Lichtenberg am 22. Mai 1942 vom Sondergericht I beim Landgericht Berlin wegen „Kanzelmißbrauchs“ und Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ zu einer Gesamtstrafe von 2 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Verhandlung fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt.
In der Urteilsbegründung heißt es u.a.:
„Indem der Angeklagte in seinen Gebeten ausdrücklich für die Juden und die Gefangenen in den Konzentrationslagern eintrat, befaßte er sich öffentlich mit den gegen die genannten Personengruppen eingeleiteten stattlichen Maßnahmen…….. Er hat also in Ausübung seines Berufes in einer Kirche vor mehreren Personen Angelegenheiten des Staates zum Gegenstand seiner Verkündigung gemacht. Dies geschah in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise…“
Der Brief Lichtenbergs an Reichsärzteführer Dr. Conti wurde aus durchsichtigen Gründen nicht zum Gegenstand der Anklage gemacht, obwohl man ja wegen Ausschlusses der Öffentlichkeit „unter sich“ war.
Nach der Urteilsverkündigung wurde der Dompropst in das Strafgefängnis Tegel überführt, in dem sich unter 2500 bis 3000 Gefangenen zahlreihe politische Häftlinge befanden. Bei ihnen erfreute sich Lichtenberg der größten Hochachtung.
Als Strafgefangener mußte er auch arbeiten. Wegen seiner schweren Erkrankung wurde das Arbeitspensum auf die Hälfte der üblichen Norm reduziert. Mehrmals wurde er ins Gefängnislazarett eingeliefert, aber eine Haftentlassung kam für die Gestapo nicht in Frage.
Am 28. Oktober 1943 verfügte das Reichssicherheitshauptamt, Lichtenberg nach Verbüßung der Gefängnisstrafe in das Konzentrationslager Dachau zu überführen. Beim Zwischenaufenthalt des Gefangenentransports dorthin starb Dompropst Lichtenberg am Abend des 5. November 1943 im Stadtkrankenhaus Hof.
Wider Erwarten gestattete die Gestapo die Überführung des Leichnams nach Berlin, wo Bischof Graf von Preysing für seinen Dompropst ein Pontifikalrequiem feierte und ihn unter großer Anteilnahme von tausenden Gläubigen auf dem St. Hedwigs-Friedhof zur letzten Ruhe geleitete. Schon jetzt herrschte die Überzeugung, dass man einem Heiligen die letzte Ehre erwiesen habe.
Bernhard Lichtenberg wurde als Martyrer seliggesprochen, obwohl er nicht, wie Alfred Delp am Galgen, oder wie Pfarrer Max Josef Metzger unter dem Fallbeil gestorben, sondern friedlich im Bett eines Krankenhauses gestorben war. Für gewöhnlich verstehen wir unter Martyrium das Blutzeugnis für Christus. Aber schon in der alten Kirche verehrte man auch solche Zeugen Christi als Martyrer, die nicht ein blutiges Ende fanden, sondern, wie etwa die Heiligen Pontian und Hippolyt an den Entbehrungen der Haft starben.
Der Diener Gottes Bernhard Lichtenberg ist unbestreitbar wegen seines Eintretens für die Juden verhaftet worden und zu Tode gekommen. Aus den vorliegenden Dokumenten und Zeugenaussagen wurde ersichtlich, dass er bei seinem unbeirrbaren Einsatz für Menschenrecht und Menschenwürde einem besonderen Gnadenanruf Gottes gefolgt ist.
Sein lebenslanges Tugendstreben befähigte ihn, diesen Weg ohne Rücksicht auf seine persönliche Gefährdung zu gehen, der schließlich zu seinem Martyrium führte. Zu Recht stehen auf seinem Grabstein die Worte:
„Er liebte die Gerechtigkeit und haßte das Unrecht.“
Wir alle wollen in unseren Tagen den Seligen um seinen Beistand anrufen, dass sein tatkräftiger Glaube und sein rastloser Einsatz für den Nächsten auch unseren Glauben stärke und uns zu tätiger Nächstenliebe Kraft schenke.
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