Begegnung mit dem Dorfpfarrer
Pilgerbericht von P. Otto Maier SJM
Dom José
Abends gegen halb acht Uhr habe
ich jenes Städtchen erreicht, wo ich die Nacht zubringen will. Viel Betrieb ist
auf der Straße, denn morgen feiert man Kirchweih. Ich rede zwei Frauen an und
bitte sie, mir zu sagen, wo der Pfarrer wohne und wie er heiße.
Sie sagen mir: „Sie müssen dort
vorne den Platz überschreiten, dann sehen Sie den Rohbau einer Kirche, und
gleich daneben steht das Pfarrhaus.“ Ich bedanke mich und steuerte auf mein
Ziel zu.
Als ich die Kirche sehe, staune
ich. Sehe ich doch eine hypermoderne Eisenkonstruktion, angelegt als Rundbau.
Dabei bedenke ich, dass dieser Pfarrer mit mir nichts anfangen könne, da er
Bausorgen habe. Dann stehe ich klopfenden Herzens vor seiner Tür, aber er ist
nicht zu Hause. Ich stapfe Treppe wieder hinunter und frage, wo der Kaplan
wohne. Gleich nebenan, aber er ist ebenfalls nicht daheim. Seine Schwester
schickt mich zu einer Kapelle vor der Stadt, wo er den Rosenkranz mit den
Leuten betet. Meinen Rucksack kann ich im Pfarrhaus lassen. Dann gehe ich, um
ihn zu suchen. Ich wäre froh, nicht mehr laufen zu müssen.
Reges Treiben umschwirrt mich:
Buben die als kleine Gruppen die Straßen durchstreifen, - Kinder, denen man ein
Eis gekauft hat – Musik auf den Tribünen und alle Straßen voll Menschen. Autos
schieben sich durch die Menge – junge Pärchen vergnügen sich und halten sich an
den Händen. Es riecht nach frischem Gebäck. Dennoch bleibe ich nicht stehen,
sondern strebe vorwärts. Das ist nicht mehr meine Welt.
Schon die Frauen, denen ich
begegnet bin, sagten, dass der Kaplan Don José heiße. Er ist darum verwundert,
als ich ihn mit seinem Namen anrede. Er ist ein älterer Herr. Aus seinem
Gesicht strahlt Güte. Seine Augen schauen freundschaftlich, aber gleichzeitig
blickt er mich forschend an. Als ich in die Kapelle eintrete, spricht er gerade
mit einer Dame.
Ich warte einen Augenblick, bis
er sich mir zuwendet, und frage: „Don José, kann ich sie in der Sakristei kurz
sprechen?“
„Einen Moment bitte.“
Wir gehen durch die Kirche,
machen unsere Kniebeuge vor dem Allerheiligsten und stehen dann in der
Sakristei.
„Sie wünschen, Señor? Was kann
ich für Sie tun?“ Welchen Eindruck ich auf ihn mache, weiß ich nicht. Ich bin
bekleidet mit einer schwarzen Hose, habe ein graues Hemd an und eine Windjacke
aus dunkelblauem Stoff.
Ich sage ihm: „Don José, ich bin
Priester und will sie fragen, wo ich morgen früh die Heilige Messe feiern kann?
Und können Sie einen Rat geben, wo sich eine einfache Unterkunft finden lässt?“
Während ich noch spreche, ruft
man ihn an die Sakristeitüre. Aber er kommt sofort wieder zurück. Dann sagt er:
„Sie sind also Priester. Zu welcher Sekte oder religiösen Gemeinschaft gehören
Sie? Denn Priester gibt es ja überall. Woher kommen Sie?“
Ich lache und lasse mich nicht
beirren. „Ich gehöre zu derselben Sekte wie Sie, Don José, unter Leitung
unseres Heiligen Vaters Papst Paul VI.
Heute bin ich von zu Hause
aufgebrochen, um eine Wallfahrt nach Fátima zu unserer Lieben Frau zu machen.“
„Wollen Sie zu Fuß gehen?“
„Ja, soweit ich es vermag. Ein
Teil der Reise wird wohl auch per Autostopp vor sich gehen.“
Darauf gibt mir Don José
Bescheid: „Zelebrieren können Sie überall. Aber nun beten wir zuerst den
Rosenkranz. Nachher finden wir etwas für Sie. Wollen Sie in der Kapelle
mitbeten?“
Ich ziehe es vor, in der
Sakristei zu bleiben. Er geht nach draußen und fängt mit den Leuten an,
Rosenkranz zu beten.
Auf einem Stuhl, der an der Wand
steht, habe ich mich niedergelassen. Ich versuche mitzubeten, aber bald schlafe
ich vor Müdigkeit ein. Nach einer guten halbe Stunde sind sie mit dem
Rosenkranz fertig. Und hernach kommen viele Vaterunser, die noch abgehängt
werden. Für mich ist das zuviel, und ich sage mir, dass man so viele Vaterunser
ja gar nicht andächtig beten könne. - Das müsse zur Leier werden! - Doch als
mich dann Don José abholt, und wir durch die Kapelle gehen, sagt er zu mir:
„Beten wir unseren Herrn an!“ Er kniet ohne weitere Umstände vor dem
Allerheiligsten nieder und betet mit Inbrunst. Er betet das Vaterunser. Sein
Gebet ist echt und ohne Salbung. Mich erstaunt die tiefe Überzeugung, die aus
jedem Wort spricht. - Muss ich nicht vorsichtiger sein mit meinem Urteil? Ist
es notwendig, die ältere Generation für starr zu halten, wenn sie mehr
Vaterunser betet als die jüngere? Jesus gibt uns den Rat: „Den neuen Wein in
neue Schläuche zu gießen.“ Den alten Wein aber lässt man in den alten
Schläuchen, beides ist sinnvoll und schützt vor Torheiten. (Vergl. Mt 9, 17 und
Mk 2, 22)
Es ist dunkel geworden. Don José
sagt mir unterwegs, dass er mich gerne aufgenommen hätte, aber des Festes wegen
keinen Platz mehr habe, doch hier am Ort gäbe es französische Schwestern, die
gewiss noch ein Gastzimmer frei hätten. Dort wolle er nachfragen.
Die Schwestern nehmen mich
herzlich auf, geben mir ein Nachtessen. Sehr schnell ziehe ich mich zurück, um
zu schlafen. Das Zimmer ist zu schön für einen, der unbekannt von der Straße
kommt.
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Wieder auf der Straße. Die
französischen Schwestern haben mich mit Brot und Früchten versorgt. - Die
Gestalt Don Josés beschäftigt mich. Sie hat auf mich einen tiefen Eindruck
gemacht. Er ist Priester, spendet die Sakramente, verkündet das Wort Gottes.
Aber aus seinem Angesicht leuchtet Jesus. Seine Gegenwart flößt Mut und
Zuversicht ein. Seine Gebete erfüllen mit Ehrfurcht und drängen zur Anbetung.
Nicht sein Wort, sondern die Art, wie er lebt, verkündet Gott und legt Zeugnis
ab für die Botschaft Jesu.
Er sagte mir: „Lieber Mitbruder,
die Straße ist lang, vertraue auf Gott. ER wird dich geleiten. Die liebe
Gottesmutter nehme dich bei der Hand!“
Ein wenig gebeugt von der Last
der Tage stand dieser Mann vor mir. Silberne Fäden durchziehen sein Haar. Auch
ihn hat der Sturm der Prüfungen hart hergenommen. Aber er widerstand. Er
durchlitt zusammen mit seinem Meister Jesus die Stunden der Verleugnung und der
Missverständnisse. Er fügte sich in den unbegreiflichen Willen des Vaters im
Himmel. Nun, da er alt geworden ist und die Hoffnung wie ein unverlierbares
Erbe in ihm lebt, ist sein Angesicht lachend wie ein milder Herbstabend. Solche
Priester sucht die Welt von heute! Er hat vielleicht keine Kirche gebaut, ist
kein großer Organisator und mag auch sonst Mühe gehabt haben bei der täglichen
Arbeit. Aber das EINE NOTWENDIGE für
alle Arbeit im Weinberg des Herrn, das besitzt der Kaplan Don José. Er ist wie
Jesus. Um solche Priester muss das Volk den Vater im Himmel bitten! Auch ich
danke Gott, dass ich auf der ersten Station meines Wegs nach Fátima einem
Priester wie Don José begegnen durfte.
Quelle:Pilgerfahrt
nach Fatima – 1967 – Otto Maier – Reisebericht – Erlebnisse – Gespräche –
Überlegungen – Rosenkranz – Die Botschaft von Fátima für unsere Tage.
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