Begegnungen mit der Hässlichkeit

„Behindert kann ein Mensch auf vielfache Weise sein: zu groß; zu klein; zu dick – besonders bei Drüsenerkrankungen; gehbehindert durch Kinderlähmung, Unfall oder Krieg; verunstaltet im Gesicht; verunstaltet durch Medikamente, deren Schädlichkeit zu spät erkannt wurde. Diese Beispiele mögen genügen, andere extrem peinliche Behinderungen müssen hier nicht aufgezählt werden. Wer so aus dem Rahmen einer „normalen“ Erscheinung fällt, hat außer seinem Übel auch noch Neugier, Abscheu und sogar Vorwürfe zu ertragen von Menschen, die man dann auch nicht gerade liebevoll „liebe Mitmenschen“ nennt. Eine gewisse Entschuldigung für diese Entgleisung muss man gelten lassen. Die brutal auffällige Hässlichkeit eines Menschen, wenn sie einem ohne Warnung begegnet, verursacht einen gewissen Schock. Es muss also nicht bloß üble Rohheit sein, wenn ein Mensch seinen Schrecken nicht sofort beherrscht. Wenn nicht sofort beherrschen, kann ich den Schock doch verkürzen und mindern. Ich kann mir das vornehmen und somit dazu beitragen, dass es einem Behinderten auch einmal anders geht, als es ihm meistens geht. Einer Gemeinde, die sich nach dem Herrn der Mühseligen und Beladenen benennt, steht es besonders gut an, eine Stimmung, ein Lebensklima zu verbreiten, in dem auch ein behinderter oder hässlicher Mensch ungeniert mitleben kann. Ich könnte fragen, warum Gott einem anderen eine solche Last aufgelegt hat, nicht mir. Und wenn ich als Betroffener fragen möchte, warum es gerade mich getroffen hat, werde ich nicht die anderen fragen, sondern den Jesus, dessen Kreuz ein gewohnter, aber kein erfreulicher Anblick ist. (Aus „Mehr Leben“.) Quelle: Pfarrer Sommerauers Lesebuch – Geschichten mit Gott und der Welt – Kösel-Verlag GmbH & Co., München – 1984 – Seite 58.