Betrachtung zu Mariä Himmelfahrt — I.

<p style="text-align: center">Der glorreiche Triumph, mit welchem Maria im Himmel einzog</p> Nicht mit Unrecht könnte die heilige Kirche an diesem Tag der Himmelfahrt Mariens uns eher zur Wehklage als zur Freude auffordern, da unsere süßeste Mutter von der Erde geschieden ist, uns ihrer tröstenden Gegenwart beraubend, wie der heilige Bernhard spricht: „Es scheint mehr Grund zum Klagen als zum Jubilieren.“ Doch nein, die heilige Kirche lädt uns ein, zu frohlocken. „Freuen wir uns alle im Herrn, da wir ein Fest zur Ehre der allerseligsten Jungfrau Maria feiern.“ Und mit Recht; lieben wir diese unsere Mutter, so müssen wir ja mehr über ihre Herrlichkeit uns freuen, als über unsere eigenen Tröstungen. Welcher Sohn sollte nicht frohlocken, wenn er weiß, daß seine Mutter, wenn auch um den Preis der Trennung, hingeht, ein Reich in Besitz zu nehmen? Maria zieht heute hin, um als Königin des Himmels gekrönt zu werden, können wir nun, wenn wir sie wahrhaft lieben, anders als frohlocken? „Freuen wir uns alle, freuen wir uns.“ Auf daß wir über ihre Erhöhung umso größeren Trost empfinden, wollen wir betrachten erstens den Triumph, mit welchem Maria zum Himmel fuhr; zweitens den erhabenen Thron, auf den sie im Himmel erhoben wurde. Als unser Heiland Jesus Christus das Werk der Erlösung durch seinen Tod vollbracht hatte, sehnten sich die Engel, Ihn bei sich im himmlischen Vaterland zu sehen, weshalb sie beständig in den Worten Davids die Bitte wiederholten: „Erhebe Dich, Herr, zu deiner Ruhe, Du und die Lade deiner Heiligung.“ Komme jetzt, o Herr, da Du die Menschen erlöst, komme in dein Reich zu uns, und führe mit Dir auch die Lebendige Arche deiner Heiligung, deine Mutter. Sie ist die Arche, die geheiligte durch dein Wohnen in ihrem Schoß, wie der heilige Bernhardin von Siena die Engel rufen läßt. Endlich will der Herr die Sehnsucht der Bürger des Himmels erfüllen. Er ruft Maria zum Paradies. Wie Er ehedem die Arche des Bundes unter großer Feier in die Stadt Davids bringen ließ: „Und David und das ganze Haus Israel führten die Lade des Herrn mit Jubel und Posaunenschall herauf“, so ordnet Er jetzt eine weit erhabenere, herrliche Feier an, da seine Mutter den Einzug in den Himmel halten soll. Der Prophet Elias war auf feurigen Wagen in den Himmel erhoben worden, der nach den Auslegern eine Gruppe von Engeln war, die ihn von der erde empor geleiteten. „Um aber dich, o Mutter Gottes, in den Himmel zu führen“, ruft Abt Rupertus aus, „ist ein Chor von Engeln nicht genügend; dich zu geleiten kommt der König des Himmels selbst mit dem ganzen himmlischen Hof.“ Auch der heilige Barnhardin von Siena spricht denselben Gedanken aus, da er sagt: „Der verherrlichte Jesus hat sich erhoben, um seiner süßesten Mutter entgegenzukommen.“ Der heilige Anselm wendet sich an Jesus Christus mit den Worten: „Nach deinem weisesten Ratschluss wolltest Du ihr vorangehen, um in deinem Reich ihr den Platz zu bereiten, und so, von deinem ganzen himmlischen Hof begleitet, ihr festlich entgegen zu kommen, um deine Mutter, wie ihr gebührte, aufs höchste zu Dir zu erheben.“ Diesen Glanz der Himmelfahrt Marien betrachtend, spricht sich der heilige Petrus Damianus so aus: „Das Geleit, das Maria bei ihrer Aufnahme in den Himmel so feierlich umgab, war würdiger noch, als das bei der Himmelfahrt Jesu Christi; denn nur Engel konnten dem Erlöser entgegenkommen, der Mutter aber kam ihr Sohn selber mit dem ganzen Hof der Engel und der Heiligen entgegen und führte sie in die Reihen, die ihren seligen Thron umstehen.“ Nach dem Abt Guerricus ward Maria mit den Worten begrüßt: „Um meinen Vater zu ehren, bin ich auf die Erde hinabgestiegen; um meine Mutter zu ehren, bin ich wieder zum Himmel aufgefahren.“ Um meinem Vater Ehre zu geben, stieg ich vom Himmel zur Erde; um aber meine Mutter zu ehren, kehrte ich zum Himmel zurück, um ihr entgegenzukommen und sie durch meine Gegenwart ins Paradies geleiten zu können. Betrachten wir nun die erste Begegnung des vom Himmel kommenden Heilandes und seiner Mutter, wie Er mit den Trostworten sie begrüßt: „Stehe auf, eile, meine Freundin, meine Taube, meine Schöne, und komm; denn der Winter ist vorüber und vergangen“. Auf, meine liebe Mutter, meine schöne und reine Taube, verlasse dieses Tal der Tränen, wo du aus Liebe zu Mir so viel gelitten hast. „Komm vom Libanon, komm, du wirst gekrönt werden.“ Komm mit Leib und Seele, den Lohn deines heiligen Leidens zu genießen. Viel hast du auf Erden gelitten, unendlich größer aber ist die Herrlichkeit, die Ich dir im Himmel bereitet habe. Komm zu thronen neben Mir; komm, die Krone zu empfangen, die ich dir, als Königin der Welt, verleihen werde. Nun verlässt Maria diese Erde und eingedenk der so großen, hier von ihrem Herrn empfangenen Gnaden, blickt sie mit liebender Wehmut auf sie nieder, wo sie inmitten von Elend und gefahren so viele ihrer Kinder zurücklässt. Jesus reicht ihr die Hand, die seligste Mutter schwebt nach der Höhe, durch die Wolken, durch die Himmelskreise. Sie ist vor den Pforten des Himmels. Will ein Monarch von seinem Reich Besitz nehmen, so zieht er nicht die Tür der Stadt, sondern es werden entweder die Pforten ausgehängt, oder er zieht über dieselben. Darum sangen die Engel bei dem Einzug Jesu Christi in das Paradies: „Hebt eure Tore, ihr Fürsten, erhebt euch, ihr ewigen Tore, daß einziehe der König der Herrlichkeit.“ So rufen auch jetzt die Maria auf ihrem Triumphzug zum Himmelreich begleitenden Engel den Chören zu, die an seiner Pforte auf sie harren: „Erhebet eure Tore, ihr Fürsten, erhebt euch, ihr ewigen Tore, einziehen wird die Königin der Herrlichkeit.“ Nun hält Maria den Einzug. Die himmlischen Chöre singen im Anblick ihrer herrlichen Schönheit den mit ihr kommenden Scharen entgegen: „Wer ist die, die da aufsteigt aus der Wüste, von Freude überfließend und auf ihren Geliebten gelehnt?“ Wer ist die majestätische Kreatur, die von der Wüste der Erde kommt, dem Ort der Dornen und Disteln? Diese kommt so rein, so reich an Tugenden, gestützt auf ihren geliebten Herrn selber, der sich würdigt, sie mit so viel Ehre zu begleiten. Wer ist Sie? Die begleitenden Engel erwidern: „Es ist die Mutter unseres Königs; es ist unsere Königin und die Gebenedeite unter den Frauen, die Gnadenvolle, die Heilige der Heiligen, die Geliebte Gottes, die Unbefleckte, die Taube, die Schönste aller Kreaturen!“ Nun stimmen alle seligen Geister zusammen Lob- und Preisgesänge an, Maria mit besserem Recht als einst die Israeliten der Judith zurufend: „Du bist der Ruhm Israels, du die Freude Israels, du die Ehre unseres Volkes!“ Ach, Herrin und unsere Königin, du bist der Ruhm des Paradieses, die Freude unseres Vaterlandes, die Ehre für uns alle. Sei immer willkommen, sei immer gepriesen; siehe dein Reich, siehe uns deine Vasallen, bereit, deine Befehle entgegenzunehmen. Dann nahen alle Heiligen des Paradieses, sie zu grüssen und ihrer Königin zu huldigen, voran die heiligen Jungfrauen. „Es sahen sie die Töchter und preisen sie überaus selig . . . und lobten sie.“ „Wir“, rufen sie, „auch wir, o seligste Herrin, sind Königinnen dieses Reiches, du aber bist unsere Königin! Du warst unser erstes, erhabenstes Vorbild, die Jungfräulichkeit Gott zu weihen, wir preisen dich, wir danken dir.“ Die heiligen Bekenner begrüßen sie darauf als ihre Meisterin, die ihnen durch ihren heiligen Wandel das Vorbild jeder Tugend gewesen. Die heiligen Märtyrer huldigen ihr als Königin, deren großer Starkmut in den Peinen beim Tod ihres Sohnes ihnen gezeigt und die Kraft verdient hatte, für den Glauben zu sterben. Auch der heilige Jakobus, der einzige aus den Aposteln, der schon im Paradies war, kommt, im Namen aller zu danken, für die Stärke und Hilfe, welche sie, auf Erden weilend, ihnen gegeben hatte. Die Propheten nahen mit dem Gruß: „O Herrin, du warst es, die wir in unseren Prophezeiungen verkündet.“ Und die heiligen Patriarchen begrüßen sie: „O Maria, du unsere Hoffnung, nach der wir so lange mit Inbrunst geseufzt!“ Zuletzt nahen Adam und Eva, unsere Stammeltern, mit höchster Innigkeit danksagend: „O geliebte Tochter, du hast das Unheil wieder gut gemacht, das wir über die Menschen gebracht; du hast der Welt den durch unsere Schuld verlorenen Segen wieder erlangt; durch dich sind wir gerettet; sei für immer dafür gepriesen.“ Der heilige Simeon küsst ihre Füße, sie mit Frohlocken an den Tag erinnernd, da er von ihren Armen das Jesuskind empfangen hatte. Zacharias und Elisabeth danken aufs neue für den liebreichen Besuch ihrer demütigsten Liebe, der ihrem Haus widerfahren und ihnen so viele Schätze der Gnade gebracht hatte. Der heilige Johannes der Täufer dankt voll Rührung für die mit ihrem Gruß empfangene Heiligung. Wie aber mögen die heiligen Eltern Joachim und Anna sie begrüßt haben! O Gott, mit welcher Zärtlichkeit werden sie lobpreisend sie empfangen haben! „O geliebte Tochter, welch ein Glück war es für uns, dich als unser Kind zu haben. Nun aber als Mutter unseres Gottes bist du unsere Königin, als solche grüßen wir dich, und huldigen dir.“ Und erst der Heilige Joseph! Wer mag es fassen, mit welchen Gefühlen er, der teure Bräutigam sich naht, Maria zu grüßen! Wer kann die Freudigkeit des heiligen Patriarchen ermessen, da er seine Braut in solcher Herrlichkeit als die Königin des Paradieses zum Himmel kommen sieht! Mit welcher Zärtlichkeit ruft er: „O meine Herrin und meine Braut, wann werde ich unserem Gott nach gebühr zu danken je imstande sein, daß Er mich zu deinem Bräutigam, die du seine wahre Mutter bist, gemacht hat. Durch dich habe ich verdient, auf Erden der Kindheit des Menschgewordenen Wortes zur Seite zu stehen, das heiligste Kind so oft auf meinen Armen zu tragen und so große Gnaden von Ihm zu empfangen. Ich segne jeden Augenblick, den ich auf Erden Jesus und dir, o heilige Braut, zu dienen verwenden durfte. Sieh, unser Jesus, zu unseren Trost liegt Er nicht mehr auf Heu in einem Stall, wie wir Ihn nach seiner Geburt in Bethlehem gesehen; Er lebt nicht mehr arm und verachtet in einer Werkstätte, wie einst mit uns zu Nazareth; Er ist nicht mehr an das Holz der Schmach geheftet, an dem Er zum Heil der Welt in Jerusalem den Tod erlitt! Nein, zur Rechten des Vaters thront Er als König und Herr des Himmels und der erde. Und wir, o Königin, weichen nicht mehr von seinen Füßen, Ihn zu preisen und zu lieben in Ewigkeit.“ Nun nahen alle heiligen Engel zur Huldigung, und sie, die erhabene Königin dankt allen für den Beistand, den sie ihr auf erden geleistet, besonders dankt sie dem heiligen Erzengel Gabriel, dem glücklichen Botschafter ihrer Auserwählung, daß sie Mutter Gottes werden sollte. Sofort betet auf den Knien die demütige, heilige Jungfrau die Majestät Gottes an, und ganz vertieft in die Erkenntnis ihres Nichts, dankt sie für alle aus reiner Güte ihr verliehenen Gnaden, insbesondere für ihre Erhebung zu Mutter des ewigen Wortes. Endlich begreife, wer kann, mit welcher Liebe die allerheiligste Dreieinigkeit sie segnete, welchen Empfang der ewige Vater seiner Tochter, der Sohn seiner Mutter, der heilige Geist seiner Braut bereitete. Der Vater krönt sie mit der Teilnahme an seiner Macht, der Sohn an seiner Weisheit, der Heilige Geist an seiner Liebe. Und alles drei göttlichen Personen erklären sie, ihren Thron zu Rechten Jesu setzend, als die Königin des Himmels und der erde, und befehlen den Engeln und allen Kreaturen, sie als ihre Königin zu erkennen und ihr dienen und zu gehorchen. Quelle: Die Herrlichkeit Mariens – Hl. Alfons Maria von Liguori – Bischof und Kirchenlehrer Stifter des Redemptoristenordens – 1696-1787 – Hrsg.: P. Klemens Kiser – Zu beziehen bei: Priorat St. Athanasius, Stuttgarter Str. 24, 7000 Stuttgart 30