Birnau am Bodensee, das Haus der Gnadenmutter
Es erhebt sich auf dem Hügel von Maurach am Bodensee. Komm und schau! Die Kirche will gesehen sein, und sie kann sich sehen lassen. Sie zeigt, was der geniale Baumeister Peter Thumb, der Meisel des Bildhauers Josef Anton Feuchtmayer und der Pinsel des Freskenmalers Gottfried Bernhard Göz, dieses Dreigestirn im Reiche der bildenden Kunst, zu schaffen vermochten (1746-50). Der Turm verkündigt die Kirche. In die halbausgemuldete Nische des Turmes schmiegt sich, wie vor heftigem Luftzug Schutz suchend, eine Madonna-Statue, eine anmutige Frauengestalt. Sie hält in der Hand eine kirchliche Lilie, das Zeichen der Reinheit. Mit ihrem Kleid spielt der Wind.
Im einfachen Vorraum der Kirche finden wir eine prächtige Statue der hl. Mutter Anna, die uns ganz deutlich den Weg zum Heiligtum ihrer gnadenvollen Tochter zeigt. Das Portal öffnet sich, und ein Tempel des Lichtes, voll Andacht und gläubigem Sinn, voll Schönheit und reiner Fülle glänzt und strahlt dem Eintretenden entgegen, wozu die hellen Fenster noch beitragen. Alsbald nimmt das über dem Tabernakel thronende Gnadenbild (ca. 1450), wegen seiner symbolischen Darstellung, unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. In ruhiger Majestät sitzt die Gottesmutter auf einem Polster. Auf ihrem Haupte glänzt eine kostbare, mit Edelsteinen reich besetzte Krone. Aus ihrer Haltung spricht Hoheit und Würde, während ihre leuchtenden Augen Ernst und Milde zugleich künden. Ein faltenreicher Mantel umhüllt Schultern und Knie und der üppige Faltenwurf deckt auch noch die Füße. Auf dem linken Knie der Mutter sitzt ihr göttliches Kind, das mit seiner Linken ein Kreuzlein umfaßt, während seine ausgestreckte Rechte nach dem angebissenen Apfel greift, den die Mutter ihm entgegenhält. Apfel und Kreuz sind es, die dem Gnadenbild die richtige symbolische Deutung geben, als "Mater Salvatoris, als Mutter des Erlösers". Der Apfel, das Symbol des Sündenfalles, nach dem das Kind freiwillig greift, nicht gezwungen die Erlösung der Menschen vollzieht, sondern aus Liebe, da es zum Manne herangewachsen "sein Volk von seinen Sünden erlöst". Die Makellose, die zweite, bessere Eva war einzig befugt, den Sündenapfel der sündigen Eva ihrem Kinde zu reichen.
Bleiben wir beim Hochaltar stehen. Die vier großen Statuen zeigen die nächtsten Blutsverwandten Mariens, die berufen waren, sich geistig oder leiblich an der Offenbarung und Verwirklichung der Menschwerdung unseres Herrn zu beteiligen. Da steht zur Linken im Hintergrund der Opferpriester Zacharias, ein Rauchfaß in den Händen, wodurch an jenes Vorkommnis erinnert wird (Lukas 1,17), wo ihm während der Darbringung des Rauchopfers der Engel erschien und ihm die frohe Botschaft überbrachte, daß ihm sein Weib, ungeachtet ihres hohen Alters, einen Sohn schenken werde, der im Geiste und in der Kraft des Elias dem verheißenen Erlöser vorangehen werde.
Elisabeth, sein Weib, ist mit dem Buche des Alten Testamentes dargstellt. Ihr großes Gottvertrauen wurde durch die Geburt ihres Kindes in wunderbarer Weise belohnt. Als dann Maria zu ihr kam, rief sie vom hl. Geiste erfüllt: "Du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes", ein Gruß, mit dem Millionen Maria preisen und der niemals verstummen wird auf dem Erdenrund, seit Elisabeth ihn angestimmt hat.
S. Anna, Mariens Mutter, ist ebenfalls mit einem Buche dargstellt, denn aus den Schriften des Alten Bundes schöpfte auch sie Gottvertrauen und Gottesfurcht. Wie oft mag das Kind Maria ihren Worten gelauscht haben, wenn sie ihm von den Großtaten Gottes an seinem Volke erzählte!
Mariens Vater Joachim - zur Linken im Vordergrund - hat ein Schäfchen zu Füßen, während seine Linke eine Schäferschippe hält, beides Symbole seines bäuerlichen Berufes. Gott der Herr hat die Betrübnis der Eltern Marias wegen ihrer Kinderlosigkeit weggenommen, und zwar in einer Weise, die sie nie zu hoffen gewagt.
Die genannten Heiligengestalten führen uns die Eltern und Vewandten Mariens vor Augen, das Lamm über der Tabernakeltüre zeigt uns die vollzogene Erlösung, die durch das Kreuz in der Hand des Kindes in Aussicht gestellt ist. Von einem Strahlenkranz umgeben ruht das Gotteslamm auf einem mit 7 Siegeln veschlossenen Buche, so wie es S. Johannes in der Geheimnen Offenbarung uns zeigt. "Ich sah und hörte", so lesen wir dort (4,9), "einen Chor vieler Engel im Umkreis des Thrones, sie sangen mit lauter Stimme: würdig ist das Lamm, das geopfert wurde, für sich in Anspruch zu nehmen Macht, Weisheit, Ehre und Herrlichkeit in alle Ewigkeit".
Um das Relief an der Tabernakeltüre genauer in Augenschein nehmen zu können, müssen wir nähertreten. Was hat das ungewöhnliche Gruppenbild für eine Bedeutung am heiligsten Orte der ganzen Kirche? Die Antwort gibt das 25. Kapitel des 1. Buches der Könige. David zog mit vielen Kriegern aus, um den stolzen und bösartigen Gutsbesitzer zu züchtigen, der ihn beleidigt hatte. Abigail, das Weib Nabals, wollte David vom Rachezug gegen ihren Mann abhalten, belud Lasttiere mit Geschenken für David, daruntter auch 200 Brote und Schläuche mit Wein. Das Bild zeigt, wie sich Abigail vor David niederwirft, ihm die Geschenke anbietet mit der Bitte, von seinem Vorhaben abzusehen, denn ihr Mann sei ein zornmütiger Mensch, der oft nicht wisse, was er tue. David nahm die Geschenke an und war versöhnt. Das Sinnbild wird hier zum Vorbild. Die Geschenke von Brot und Wein an David sind treffliche Vor- und Sinnbilder der weit kostbareren Geschenke, die uns in der hl. Eucharistie geboten werden. Das Opfer auf dem Altar ist in erster Linie Sühne- und Versöhnungsopfer. Die Erlösungsfrüchte werden uns durch die hl. Sakramente zugewendet, in Sonderheit durch die eucharistische Speise, die im Tabernakel, dem Bundeszelt des Neuen Testamentes aufbewahrt wird. Der Tabernakel steht also in innigster Verbindung mit dem Gnadenbild und dem Lamme Gottes. Wir gewahren am Tabernakel auch die bekannten Sinnbilder des eucharistischen Opfers: Ähren und Weintrauben, die an beiden Seiten des Tabernakels emporranken. Das Kreuz in der Hand des Jesuskindes zeigt die hoffnungsvolle Erwartung, das Lamm Gottes die blutige Vollziehung und der Tabernakel mit seiner eucharistischen Speise die gnadenreiche Zuweisung der Erlsöung durch Jesus Christus.
Werfen wir noch einen Blick auf die Krönung des Hochaltares. Auf den obersten Voluten des halbkreisförmig überkuppelten Altaraufbaues gewahren wir einen unaussprechlichen Jubel der Engel, die mit Girlanden und Kränzen iher Königin entgegeneilen. In der Mitte der Konche umfaßt ein Engel eine Säule, ein Sinnbild, das tiefe Bedeutung hat. Die Säule soll die Herrlichkeit versinnbilden, die Maria im Himmel genießt als Lohn für ihre Heiligkeit, wie es in der Geheimen Offenbarung heißt (3. 12) "er hat sie zu einer Säule gemacht im Tempel meines Gottes, wie ein Heiliger, der siegt". Über der Säule glänzt ein Stern, "der Stern aus Jakob", wie die Kirche Maria nennt. "Schau auf zum Stern, rufe Maria an", sagt der hl. Bernhard. Rufen wir zu Maria! Meerstern ich dich grüße, Jungfrau Mutter süße.
Aus: Birnau, das Barockjuwel am Bodensee nach einem Manuskript: Symbolik von Birnau
(+ P. Mauritius Linder S.O. Cist.)
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