Der Büschelfrauentag - 15. August


Marienfeste sind immer schön, denn sie sind Feste der Mutter. Und in welchem Menschen wäre nicht eine Zuneigung zur Mutter? Maria ist unsere himmlische Mutter. Das katholische Volk hängt mit allen Fasern des Herzens an ihr. Die schönsten Lieder und Bilder hat es ihr gewidmet, die herrlichsten Kirchen und Dome ihr gebaut. Selbst im entlegensten Gebirgswinkel kann man da und dort ein Liebfrauen-Bildstöckel finden, zu dessen Füßen eine fromme Hand blauen Enzian und roten Almrausch gelegt hat.

Und wenn dann erst noch die Glocken zu schwingen anheben und in alle Täler, wo Christen wohnen, die Kunde hinaustragen: „Heut' ist Frauentag“, dann huscht es wie Sonnenschein über das arbeitsernste Menschengesicht, dann legt man alles beiseite, zieht das Festtagsgewand an und pilgert zur Kirche. Aber der schönste und dem Volk am meisten ans Herz gewachsene Frauentag ist doch Mariä Himmelfahrt — jetzt, nachdem der alte Glaube an die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel zum Dogma erhoben wurde, erst recht.
Gemälde von Matheo Cerezo *)
Da genügt nicht der übliche Festschmuck, da will jedes Kind seinen Blumen- und Kräuterbuschen ins Gotteshaus tragen, der himmlischen Jungfrau zur Ehre.
Maria, der Rose von Jericho, der Palme von Kades, der wohlriechenden Olive, wie die Heilige Schrift sie nennt, Maria, deren Grab nach der Legende der kostbarste Blumenduft entströmte, weiht die Kirche an ihrem herrlichen Ehrentag Büschel wohlriechender Sommerkräuter. Maria ist ja die schönste Blume, die je erblühte. Von ihr sagt das Lied:



Es blüht der Blumen eine auf ewig grüner Au;
Wie diese blühet keine, so weit der Himmel blau ...

Am Vorabend des Festes plündern die Kinder den häuslichen Blumengarten aus und betteln bei Nachbarn und Bekannten Blüten zum Würzwisch. Nur solche Kräuter werden gewählt, die nach der Meinung des Volkes dienlich sind, die Gesundheit zu festigen, Krankheiten zu heilen und Unglück von Haus und Stall abzuwenden. In die Mitte des Buschens kommt der hochragende „Himmelbrand“, die lange Wetter- oder Königskerze. Von ihr sagt der Volksmund: „Unsere Liebe Frau geht über Land, trägt den Himmelbrand in der Hand.“ Um die Königskerze reihen sich Thymian, Johanniskraut, Wermut, Arnika, Tausendgüldenkraut, Nachtschatten, Pfefferminz, Fingerhut, Kamille, Schafgarbe ... , lauter Kräuter, die heilkräftige Tränklein geben für Mensch und Vieh. Dazu kommen noch goldene Ähren und schlanke Haselnussgertlein, die den Blütenstrauß schützend umhecken.
Unter einer Haselnussstaude suchte nach der Legende Maria Schutz, als sie auf dem Weg nach Bethlehem von einem Unwetter überrascht wurde.

Die geweihten Kräuter werden in Stube und Stall sorgsam verwahrt, teils als Hausmittel in Krankheitsfällen, teils als Schutzmittel gegen Unsegen. Bei schweren Gewittern legt die Hausmutter geweihte Kräuter ins Herdfeuer. Wenn ein Kindlein fiebernd in den heißen Kissen liegt, mischt die Mutter einiges von den geweihten Kräutern ins Bad oder ins kühlende Tränklein. Wenn das Vieh im Stall von einer Seuche bedroht ist, gibt der Bauer den kranken Tieren etwas aus dem Würzbusch.
Hat ja doch der Priester bei der Weihe gebetet: „Allmächtiger, ewiger Gott! Du hast Himmel und Erde, alles Sichte bare und Unsichtbare erschaffen; du hast der Erde geboten, Pflanzen und Blumen zum Gebrauch für Mensch und Tier zu erzeugen: wir bitten dich demütig, du wollest diese Pflanzen der verschiedensten Art auf die Fürsprache der seligsten Jungfrau Maria hin segnen und heiligen, damit sie allen, die davon Gebrauch machen, ein kräftiges Heilmittel seien und von Menschen und Tieren, die sie anwenden, alle Krankheit, Seuche und Schmerzen, alle feindlichen Einflüsterungen fernhalten.“

An Mariä Himmelfahrt nimmt der sogenannte „Frauendreißiger“ seinen Anfang. Er endet am Fest Hl. Kreuz-Erhöhung, an dem man zum letzten Mal den Wettersegen gibt. Die Kräuterwelt hat in diesen Tagen ihre höchste Vollendung erreicht. Nach altem Volksglauben ist im Dreißiger die ganze Natur dem Menschen am freundlichsten gesinnt; denn die Gottesmutter weiht sie vom Himmel aus. In dieser Zeit haben wohltätige Pflanzen ihre höchste Kraft. Eine berühmte Dreißigerpflanze ist der Allermannsharnisch oder die Siegwurz. Sie galt unseren Vorfahren als unfehlbares Schutzmittel gegen Hieb, Stich und Schuss. Nelken geraten besonders gut, wenn man sie im Dreißiger versetzt. Bei den Bäuerinnen stehen die Dreißigeier in hoher Gunst. Sie halten sich am längsten frisch und schmecken am besten.

Weiße Marienfäden spinnen sich von Zweig zu Zweig und flattern zitternd in der Herbstsonne. Der fromme Volksglaube sieht darin Fäden, die zornige Teufel der Gottesmutter aus ihrem Mantel rissen, als sie sich an die zum Himmel schwebende Königin vergeblich anzuklammern suchten. Die Marienfäden sind das Silberhaar des greisenden Jahres. Der Sommer ist vorüber; es herbstelt.

Mariä Himmelfahrt

Schon wird die Straße steil und breit
Die Heimfahrt muss bald enden.
Dein Leben soll sich heute wenden.
Der Himmel wartet, denn es ist die Zeit.

Die Stube liegt so still und traut
Bald wirst du deine Heimat finden
Und deine Straße wird dann münden
Bei Gott, der in dir einst das Glück gebaut..

Noch ist es einsam hier und leer
Die allzu lauten Fragen schweigen,
Dir ist das tiefste Glück zu eigen -
Wie Engelssingen klingt es weithin her.

Sieh, viele Lichter zünden schnell,
Schon bald wirst du dein Kind erkennen,
Der Himmel wird dich Mutter nennen.
Auf einmal ist die Stube hell.

Ein Flüstern hört man hier und dort.
Wer darf dir diese Botschaft sagen?
Die Engel wollen dich doch tragen!
Da nehmen heimlich sie dich fort.

Josef Eschbach

Quelle: „Kirche und Leben – Ein Buch von der Schönheit und Segenskraft der Kirche“, Alphons Maria Rathgeber, Verlag Albert Pröpster, Kempten im Allgäu, 1956.


*) http://www.meisterwerke-online.de/gemaelde/mateo-cerezo/620/himmelfahrt-mariae.html