Die Leiblichen Werke der Barmherzigkeit
Die Fremden
beherbergen
Im Alten Testament spielte die Aufnahme von Fremden eine nicht
unwesentliche Rolle, denn auch die Israeliten waren in Ägypten Fremde gewesen
(vgl. 2 Mo 22, 20; 3 Mo 91, 34). Anscheinend war diese israelitische
Gastfreundschaft zur Zeit von Jesus schon recht eingeschränkt. So hatte man
keinen Umgang mit fremden Samaritanern, mit Zöllnern und mit anderen „unreinen“
Fremdlingen. Christus hingegen mahnt diese Gastfreundschaft an: „Ich war fremd
und obdachlos und und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt. 25, 35). In übertragenem
Sinne war ja auch der Gottessohn ein Fremder auf Erden (Phil. 2, 7) und Paulus
meint an anderer Stelle: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie
haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt“ (Heb. 13, 2). So überrascht
es nicht, dass die Beherbergung von Fremden bei den Werken der Barmherzigkeit,
deren Rangfolge ja auf Mt. 25, 35 zurückgeht, schon an dritter Stelle steht.
Im
Gegensatz hierzu ist dieses Werk auf dem Gemälde von Breughel etwas zu weit in
die Ferne gerückt.
Auf dem Bildausschnitt (links) sieht man zwei Personen auf ein Haus
zuschreiten. Über die Hausschwelle tritt ihnen der Hausherr entgegen. Aus
Achtung vor den Fremden hat er seine Mütze gezogen und zum Willkommensgruß mit
der Bitte, in sein Haus einzutreten, gibt er einem der Fremden die Hand.
Die Bekleidung mit Mantel und Hut den Wanderstab in der Hand
lassen vermuten, dass es sich bei den beiden Wanderern um Pilger, um peregrini,
handelt. Aufnahme finden sie in einem christlichen Haus, wie das Kreuz auf dem
Hausgiebel zeigt. Dies wäre auch eine Erklärung für die Freundlichkeit des
Hausherrn, denn durch die Aufnahme von Pilgern erhält er auch Anteil an den
Gnadengaben der Pilgerreise der Aufgenommenen.
Man kann diesem Bildausschnitt noch eine weitere, eine
Biblische Deutung geben wenn man bedenkt, dass es genau zwei Fremde sind, die
hier aufgenommen werden. In der Bibel heißt es nämlich: „Hernach stellte der
Herr noch andere zweiundsiebzig auf und sandte sie zu zweien vor sich her“ (Lk.
10, 1) und weiter sagt Christus: „Kommt ihr in ein Haus, so sagt zuerst: Friede
diesem Hause! Ist daselbst ein Kind des Friedens, so wird euer Friede auf ihm ruhen. In eben diesem
Hause bleibet, esset und trinket, was da ist“ (Lk. 10, 6). Die beiden Fremden im
Bild können also auch als missionierende Jünger angesprochen werden, welche dem
Haus den Frieden Christi bringen. Vorbildhaft hat dies der Hausherr erkannt und
begrüßt sie dementsprechend.
Zur weiteren Deutung dieses Bildausschnittes sollte man die
heute oft übersehene Zahlensymbolik bemühen. So hat dieses Haus drei
unterschiedliche Öffnungen: eine Türe, ein Fenster und eine Dachhaube. Der
Maler wollte nicht nur unterschiedliche Hausöffnungen zeigen, sondern er legte
hier auch Wert auf die Zahl drei. Nun hat diese Zahl eine Vielfältige Bedeutung
(Dreifaltigkeit, drei Tugenden, drei Erzväter usw.). Im Zusammenhang mit diesem
Werk der Barmherzigkeit kommt ihr jedoch eine ganz spezielle Bedeutung zu. In
Gen 18 wird geschildert, wie Abraham drei Männer erblickt und sie einlädt, sich
bei ihm auszuruhen und zu essen. Auch an diese biblische Geschichte der
Begegnung Abrahams mit drei Männern bei den Eichen von Mamre dürfte der Maler
gedacht haben, als er diesen Bildausschnitt von der Beherbergung von Fremden
malte.
Bei genauer Betrachtung der Hausfront fallen fünf
Balkenköpfe auf. Einmal geben diese die Zimmerhöhe im Hausinnern an. Zum
zweiten beleben sie optisch die Hauswand. Warum sind es jedoch gerade fünf
„Punkte“? Vielleicht hatte der Maler ästhetische Gründe. Vielleicht wollte der
Maler auch hier den Symbolwert fünf hervorheben. Schaut man in der Bibel nach,
wo die Zahl Fünf einen Zusammenhang zum Bildthema hat, so stößt man auf das
Gleichnis von den fünf klugen und den
fünf törichten Jungfrauen (Mt 25, 1–13). Nur wer rechtzeitig vorbereitet
kommt, findet Aufnahme, für die zu spät Kommenden ist die Türe verschlossen.
An den beiden Beispielen zur Zahlensymbolik zeigt sich
übrigens, dass zunehmender biblischer Analphabetismus immer mehr verhindert,
die Aussage von Bildern umfänglich zu verstehen. AE
Quelle:
Der Fels – Oktober 2014 - Redaktion: Eichendroffstr. 17, D-86916
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