Die Wiederkunft Christi

Betrachtung für „ungewisse Zeiten“

von Prof Dr. Georg May

Ein recht eifriger Katholik sagte einmal: »Die bei den Evangelien vom 24. Sonntag nach Pfingsten und vom 1. Adventsonntag gefallen mir gar nicht!« Es sind die Evangelien, die vom Ende der Weltzeit, die von den apokalyptischen Ereignissen uns berichten. Es sind Bilder, die vor unserem Auge entstehen, die uns Angst machen können. [...] Was aber wird sein, wenn die Ereignisse eintreten, die der Herr uns vor Augen stellt? Man ist berechtigt, Furcht zu haben. Den Bewohnern von Athen kündigte Paulus an: »Gott hat einen Tag festgesetzt, an dem er die Welt nach Gerechtigkeit richten wird. Durch einen Mann, den er dazu bestellt und bei allen beglaubigt hat durch die Auferweckung von den Toten.« An die römische Gemeinde schreibt Paulus: »Gott wird die verborgenen Absichten der Menschen durch Jesus Christus richten.« Und der Herr hat es ja selbst gesagt: »Gott wird einem jeden vergelten nach seinen Werken!« Die Furcht vor dem Weltgericht ist berechtigt.

Und ein Buch wird aufgeschlagen, treu darin ist eingetragen, jede Schuld aus Erdentagen. Sitzt der Richter dann zu richten, wird sich das Verborgne lichten, nichts kann vor der Strafe flüchten.

So beten wir in jeder Totenmesse. Gott ist kein Schattenkönig. Er ist der Herr der Schöpfung. Er ist auch der Richter der Welt. Er kam verborgen, um sich richten zu lassen. Er wird sichtbar kommen, um selbst zu richten. Wann wird das geschehen? Wir wissen es nicht! Es ist ein vergebliches Unterfangen, die Jahre, die für die Weltzeit noch übrig sind, zu berechnen. All den eifrigen Rechenkünstlern hat jener Ruhe geboten, der das Wort gesprochen hat: »Es steht euch nicht zu, die Zeiten zu wissen, die der Vater aus eigener Machtvollkommenheit festgesetzt hat!« Das Gericht ist gewiss! Der Zeitpunkt ist ungewiss. Sein Eintreten kann für Viele eine Überraschung sein. Denn der Herr sagt: »Der Menschensohn wird kommen zu einer Stunde, da ihr es nicht vermutet.« Die Uhren Gottes schlagen anders als die Uhren der Menschen. [...] Seit der Himmelfahrt des Herrn ist Letzte Stunde. Sein Wiederkommen ist zu jeder Stunde möglich. Der Tag des Gerichts ist aber freilich nicht nur ein Tag der Furcht. Er ist auch ein Tag der Sehnsucht, ein Tag der Freude. Die junge Kirche lebte in der freudigen Zuversicht, dass der Herr kommen werde, dass er sie heimholen werde. Sie baute ihre Gotteshäuser nach Osten, von wo man den Herrn erwartete, der erscheinen werde, wie der Blitz aufzuckt. In der Osternacht jubelten die Christen dem kommenden Herrn entgegen. Sie haben eben das Wort des Herrn ernstgenommen: »Dann werden sie den Menschensohn kommen sehen mit großer Macht und Herrlichkeit. Wenn dies geschieht, dann richtet eure Häupter auf, denn es naht eure Erlösung.« Sie wussten, die Wiederkunft des Herrn ist die Rechtfertigung ihres Glaubens, sie ist die Bestätigung ihrer Hoffnung, sie ist die Erfüllung ihrer Liebe. Die Wiederkunft des Herrn ist die Befreiung von a11 der Missachtung, Geringschätzung, Verfolgung, die die Christen seit Jahrtausenden erleiden müssen. Dann werden sie gerechtfertigt vor aller Welt. Alle werden ihn sehen, auch die, die ihn durchbohrt haben. In der Liturgie hat die Kirche immer diese Erwartung, diese selige Erwartung auf das Kommen des Herrn wachgehalten und durch alle Jahrhunderte gerettet. Was wird, wenn der Herr kommt, wenn die letzten Tage anbrechen, was wird aus unserer Kirche? Christus wird seine Braut, die Kirche, dem Vater übergeben. Und die Christen werden sein eine verklärte Gemeinschaft von Vollendeten. Dann kommt sie, diese Menschheit, die verklärte Menschheit, ganz zu sich selbst. Die von Christus gesammelte Gemeinschaft kommt dann zu dem von ihm bestimmten Ziel. Quelle: Gottesdienstordnung Alte Messe Frankfurt, Deutschordenskirche, Dezember 2021