Ein lutherischer Theologe über Lourdes

Der Altbischof der Lutherischen Kirche von Oldenburg, Professor Dr. Wilhelm Stählin, schrieb in der von ihm herausgegebene Zeitschrift „Quatember“ (Zeitschrift der Michaelsbruderschaft) über Lourdes: „Ich glaube, dass diejenigen Menschen recht haben, die der Meinung sind, daß wir Protestanten uns im allgemeinen das Urteil über Erscheinungen wie Lourdes zu leicht machen. Plumpe Urteile wie „Götzendienst“ oder ein Satz, ,Gott dulde solche Dinge nur ,auf das Gericht hin‘, sind Lieblos, ungerecht und töricht. Wir sollten zunächst, wie ich meine, zugeben, daß es solche Erscheinungen der übersinnlichen Welt gegeben hat und gibt. Man kann nicht mit ganzem Ernst die Erscheinung Christi würdigen, die Paulus auf dem Wege nach Damaskus zu einer völligen Wandlung seines Lebens bewegt hat, aber alles, was aus späterer Zeit erzählt wird, in das Reich der Phantasie und der Legende verweisen. Freilich soll man auch solche Erscheinungen übersinnlicher Art nicht überschätzen, und wir sollten nicht vergessen, daß Luther Gott ausdrücklich gebeten hat, ihm keine Visionen zu schicken, weil er an dem geschrieben Wort Gottes genug zu haben glaubte. Es steht aber zweitens wohl so, daß alle solche übersinnlichen Erscheinungen sich im Rahmen der Vorstellungen halten, in denen die betreffenden Menschen aufgewachsen und gewöhnt sind. Die übersinnliche Welt enthüllt sich dem Menschen so, daß der Stoff der Erscheinung aus der jeweiligen Anschauungswelt der betreffenden menschlichen Kreise genommen ist. Darum können und sollen wir uns nicht darüber wundern, wenn fromme Glieder der römisch-katholischen Kirche in dem Augenblick, wo die übersinnliche Welt sich ihnen manifestiert, Erscheinungen der Jungfrau Maria haben, und die Realität einer solchen übersinnlichen Erscheinung wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Vorstellungswelt, die sich darin enthüllt, uns fremd ist. Ebensowenig – das ist das dritte – sollten wir bestreiten oder es entwerten, daß die gläubige Teilnahme an Wallfahrten und die Ernsthaftigkeit des Gebetes reale Wirkungen bis in das leibliche Leben hinein haben können. An der Wirklichkeit solcher Erfahrungen ist bei aller kritischen Vorsicht kaum zu zweifeln. Sie entsprechen ja auch durchaus dem, was der Herr seinen Jüngern verheißen hat, und es scheint mir nicht geraten, über diese Verheißungen so einfach hinwegzusehen, als ob sie uns nichts angingen und als ob wir es als feststehende Tatsache ansehen dürften, daß sich dergleichen heute nicht mehr ereignet.“ Der evangelische Bischof, der vor Jahren für einige Stunden in Lourdes war, schließt sine Stellungnahme mit dem Satz: „An dem ernst und der Frömmigkeit, auch dem gläubigen Gebet der Menschen, die dorthin pilgerten, zu zweifeln, haben wir kein Recht.“ Quelle: Maria wir rufen zu dir – Alphons Maria Rathgeber – Verlag Albert Pröpster – Kempten – Allgäu