Epidemien der Neuzeit
[caption id="" align="aligncenter" width="780"] Schnell bekam die „Andrea Doria“ Schlagseite - Quelle: picture-alliance/ dpa[/caption] Der Untergang der „Andrea Doria“ und die schreckliche Grubenkatastrophe von Marcinelle, bei der viele italienische Bergleute den Tod fanden, haben begreiflicherweise vor allem in Italien einen tiefen Eindruck hinterlassen. Es ist auch verständlich, dass die Trauer der Italiener in Anklagen gegenüber diesen Unglücken ihren Ausdruck findet. Es ist leichter, anzunehmen, dass die „Stockholm“ den Zusammenstoß der beiden Schiffe verursacht hat, als die Ursache in Navigationsfehlern des italienischen Dampfers zu suchen. Ebenso ergeht sich ein Teil der Italienischen Presse in wilden Anschuldigungen gegen die Leitungen der belgischen Bergwerke, die schon seit langem in sträflicher Nachlässigkeit Schutzmaßnahmen versäumt haben sollen, um die Produktion nicht absinken zu lassen. Die belgischen Gewerkschaften fordern daher strenge Untersuchungen, ob tatsächlich irgendwelche Versäumnisse festgestellt werden können. Daraus werden sich kaum diplomatische Verwicklungen zwischen Schweden und Belgien einerseits und Italien andererseits ergeben, aber es wäre wirklich von Vorteil, wenn auf internationaler Basis eine Untersuchung angestellt würde, ob die Sicherheitseinrichtungen in den verschiedenen Ländern noch dem Fortschritt der Technik entsprechen oder erneuert und verstärkt werden müssen. Damit ist ein Weltproblem angerührt, das allgemein viel zu wenig beachtet wird. Es muss erst eine große Katastrophe mit Hunderten von Toten oder großen materiellen Verlusten kommen, ehe die Menschheit ein wenig aufmerkt. Die Zeitungen sind tagelang voll von oft recht sensationellen oder sentimentalen Berichten, Rundfunk und Fernsehen teilen den neuesten Stand der Dinge mit, man debattiert über Ursachen und Folgen – und dann geht man wieder zur Tagesordnung über, die Akten häufen sich bei gerichtlichen Untersuchungen, und irgendwann nimmt man vom Ausgang eines Prozesses Kenntnis, dessen Ursprung man schon fast vergessen hatte. Dass aber Tag für Tag die moderne Technik Opfer über Opfer in der ganzen Welt fordert – wenn auch glücklicherweise selten in solchem Ausmaß und unter so grässlichen Erscheinungen - , das dringt kaum ins menschliche Bewusstsein. Im Gegenteil: Wir verdrängen solche mahnenden Bilder, weil sie nicht in unsere gewohnten Anschauungen von einer perfekt funktionierenden Welt passen, die die neuzeitliche Zivilisation uns vorgaukelt. Unfall, Krankheit, Tod dürfen darin keinen Platz mehr haben. Einzig allein die täglich wachsende Zahl der Opfer des Verkehrs wird uns als Mahnung vor Augen gestellt, allerdings ohne die geringste Wirkung, denn auch diese entsetzliche Tatsache wir von unserem Bewusstsein nur an der Oberfläche registriert, bis es uns selbst trifft. Höchstens kann man ab und zu einmal fragen hören: Wie kann der Herrgott so etwas schreckliches zulassen? Jede Zeit hat ihre Gottesgeißel, die uns in Erinnerung ruft, dass diese Welt eben nicht die bestmögliche ist, sondern ein Tal der Tränen und der Schmerzen. Mögen es Naturkatastrophen sein oder Epidemien, die die Menschen zu Tausenden dahinraffen, oder mögen es Unfälle und Kriegseinwirkungen sein, die die Menschen mit oder ohne böse Absicht selbst hervorrufen – die Kette der Leiden wird nicht abreißen. Es liegt geradezu eine Tiefe Tragik darin, dass die Menschheit in dem gleichen Maß, in dem sie die Übermacht der Natur durch Fortschritt der Technik und der Medizin bezwingt, sich selbst andere Übel von vielleicht noch schwereren Wirkungen auferlegt oder sie doch in Kauf nimmt. Das ist der Preis, den der Mensch für den Fortschritt zahlen muss. Das ist die Summe, die die Menschheit wohl überhaupt für ihr Dasein ständig aufbringen muss und die sich mehr oder weniger immer gleich bleibt. Frühere Geschlechter haben davon gewusst und ihr Leben entsprechend eingerichtet. Die heutige Zeit übt beständig ein großes Täuschungsmanöver, um diesen Sachverhalt zu verschleiern. Die Illusion einer Existenz, die chemisch rein ist von allen Missfällen und nach Plan und Organisation in größter Präzision abläuft bis zur letzten, allerdings nicht mehr zu vermeidenden Katastrophe des Todes, gehört zu den Modernen Ideologien des Unglaubens. Sich eingestehen, dass der Mensch und seine Welt unvollkommen, brüchig und vergänglich sein, wäre ja gleichbedeutend mit dem Blick in das Antlitz des lebendigen Gottes. Aber auch darin müssen alle Dinge, die Technik nicht ausgenommen, die Majestät Gottes verkünden, dass sie Zeugnis geben von der Begrenztheit alles Irdischen. Mit vollem Recht werden wir Sicherheitsmaßnahmen fordern und darauf hinweisen, dass die technische Entwicklung alle Vorschriften und Einrichtungen zur Vermeidung von Unfällen längst überholt hat. Der Gefahrenschutz genügt nicht mehr den heutigen Ansprüchen. Die Möglichkeit eine Zusammentreffens von Umständen, die ein Versagen der Apparaturen und mehr noch der sie „bedienenden“ Menschen hervorrufen können, ist ungewöhnlich groß und kann gewiss bei einigen Aufwand an Kosten und Aufmerksamkeit herabgemindert werden. Immer aber bleibt ein Rest, der nicht mehr aufgelöst werden kann und der dem Fragenden und Zweifelnden Rätsel aufgibt, deren Lösung nicht einfach ist. Der Unglaube muss an diesem Punkt scheitern, und auch der Gläubige wird sich nicht leicht tun, damit irgendwie fertig zu werden. Es ist für uns schwer einzusehen, dass sich hinter dem Unheil kein zorniger und rachegieriger Gott verbirgt, sondern der große Liebende, der uns aus unserer Verflechtung in die untergehende Welt aufscheuchen und in seine rettenden Arme führen will. Der Sprecher, der die belgische Nation am Rundfunk zum Gebet aufforderte, während die tapfere Rettungsmannschaft in den Stollen des brennenden Schachtes „Amer Coeur“ (Bitteres Herz) noch das Menschenmögliche versuchte, hat uns allen eine Mahnung gegeben, die uns nachdenklich machen sollte. Quelle: Im Spiegel der Zeit – Walther Kampe – Verlag Josef Knecht – Frankfurt am Main Bild: Quelle:https://www.welt.de/geschichte/article156300869/Mit-dieser-Schiffskatastrophe-ging-eine-Epoche-unter.htmlHelfen Sie uns mit einer Spende, die Andacht zu Muttergottes in Deutschland zu verbreiten.
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