Fragen zur Familiensynode 2015 - IV

IV. Die sexuelle Revolution


22. FRAGE: Nach Aussagen einiger Synodenteilnehmer haben historische Entwicklungen eine anthropologisch-kulturelle Veränderung begünstigt, die heute alle Aspekte des Lebens beeinflusst und die eine tief greifende Änderung der Kirchenpastoral und sogar einiger vermeintlich obsolet gewordener Punkte der überlieferten Lehre über den Menschen und die Familie notwendig macht. Wäre das nicht ein Zeichen der Zeit?

ANTWORT: „…Es obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Lichte des Evangeliums zu deuten (Gaudium et Spes, Nr. 4). Es ist wichtig, dies hervorzuheben: Die Zeichen der Zeit müssen im Licht der göttlichen Offenbarung gedeutet werden.
Für die Kirche ist der einzige erwünschte „neue Mensch“, die einzige radikale Veränderung, die in einem Menschen stattfinden kann, diejenige, die durch die heiligmachende Gnade herbeigeführt wird, die den Menschen auf die „übernatürliche“ Ebene erhebt und ihn „Gott ähnlich“ macht. Die mächtigsten historisch-kulturellen Faktoren können die Natur des Menschen nicht verändern; sie können sie erheben oder erniedrigen, aber sie können sie nicht in ihrer Substanz verändern. Die Veränderungen der letzten Jahre sind das Ergebnis einer künstlich entfachten und gesteuerten sexuellen Revolution, die zunächst im sozialen und dann auch im individuellen Bereich Tendenzen, Gewohnheiten und Mentalitäten verändert hat. Diese Veränderungen können wir nicht einfach annehmen, als seien sie eine unabwendbare und unabwägbare Realität. Sie müssen auf der Basis eines moralischen Urteils im Lichte des göttlichen und natürlichen Rechts analysiert und bewertet werden, wie es von der Kirche gelehrt wird.


23. FRAGE: Ist der Hinweis auf eine „sexuelle Revolution“ nicht bloß ein Vorwand, um gegen die unvermeidbare Evolution der Sitten vorzugehen?

ANTWORT: Die sexuelle Revolution ist eine Tatsache, die sich durch historisch-soziale Studien sehr leicht feststellen und an ihren schwerwiegenden Folgen in den letzten 60 Jahren bemessen lässt.
Die Botschaft dieser Revolution ist, dass die Menschen nur glücklich werden können, wenn sie ihren Trieben – vor allem den sexuellen - freien Lauf lassen und wenn alle Regeln – nicht nur die gesetzlichen, sondern auch die religiösen und sittlichen –, die das Ausleben dieser Triebe eingrenzen könnten, abgeschafft werden. Das setzt nicht nur die Abschaffung der „bürgerlichen Gesellschaft“ voraus, sondern auch und vor allem die Zerstörung der Familie; das geschieht entweder dadurch, dass ihr Entstehen überhaupt verhindert wird oder dadurch, dass man ihre Bedeutung relativiert, indem man sie mit jeder Art von Verbindung, selbst der homosexuellen, als gleichwertig darstellt.
Der Ausdruck „sexuelle Revolution“ stammt aus einem im Jahr 1936 veröffentlichten Buch mit dem Titel Die Sexualität im Kulturkampf. Zur sozialistischen Umstrukturierung des Menschen. Der Autor dieses Werks, der Österreicher Wilhem Reich, war ein hochrangiger Vertreter der Schule, die die psychoanalytischen Theorien von Sigmund Freud mit den sozialen Theorien von Karl Marx kombinierte. Die darin präsentierten Ideen wurden von Herbert Marcuse und von den Theoretikern der 68er Revolution verbreitet.
Der Philosoph Jean-Marie Meyer erläutert diese Ideologie aus einer noch breiteren Sicht, nämlich der neo-evolutionistischen des Materialismus Darwin'scher Prägung, nach der Mensch, Familie, Sexualität, Person usw. überholte Konzepte seien, die durch eine neue Realität ersetzt werden sollen, frei von allen Vorurteilen (vgl. J-M Meyer, Familie, Natur und Person in Lexicon, Termini ambigui e discussi su famiglia, vita e questioni, etiche, herausgegeben vom Päpstlichen Rat für die Familie 2006, Centro Editorial EDB, SS. 469-473).


24. FRAGE: Ist die sexuelle Revolution nicht eine spontane Erscheinung, die die Impulse und Forderungen der modernen Gesellschaft zum Ausdruck bringt?

ANTWORT: Die sexuelle Revolution war und bleibt eine der Gesellschaft aufgedrängte Erscheinung, die von gut organisierten und finanziell starken ideologischen Gruppen und Lobbies hervorgebracht und gesteuert wurde und wird. Sie bedient sich gewisser ungeordneter Tendenzen der menschlichen Natur, die instrumentalisiert werden, um einen auf dem Reißbrett entworfenen revolutionären Plan umzusetzen. Diese Lobbies bestehen aus tausenden kleinen militanten Gruppen, die von einem internationalen politischen und Finanzsystem gefördert und von der Propaganda-Maschinerie der Medien unterstützt werden.


25. FRAGE: War die sexuelle Revolution nicht eine positive kulturelle Entwicklung, die den Menschen mehr persönliche Freiheit gebracht hat?

ANTWORT: Eine solche Auffassung von persönlicher Freiheit ist falsch und schädlich; die Freiheit wird dadurch als Willkür definiert und nicht mehr als die Fähigkeit des Menschen, sich aus freiem Willen für das Gute zu entscheiden.
In Wirklichkeit hat die sexuelle Revolution den Menschen nicht größere Freiheit, sondern vielmehr eine größere Versklavung gebracht, eine Abhängigkeit von ihren niedersten Instinkten, die sie wieder in die „Tiefen des Heidentums“ zurückführen; sie hat unter den Menschen eine Art Krieg aller gegen alle auf der Suche nach höchstmöglicher sexueller Befriedigung hervorgerufen. (s. F. López-Illana, Ehe, Trennung, Scheidung und Gewissen in: Päpstlicher Rat für die Familie, Lexicon, Termini ambigui i discussi su famiglia, vita e questioni etiche, EDB 2006, SS. 683-700).
Vom religiösen Standpunkt aus hat die sexuelle Revolution viele Menschen der von Gott geschaffenen natürlichen Ordnung, der durch Jesus Christus erwirkten Erlösung und der vom Heiligen Geist durch die Kirche geförderten Heiligung entfremdet. In Wirklichkeit bedeutet die sexuelle Revolution einen historisch gegenläufigen Prozess der Rückkehr zu alten heidnischen Sitten, durch den das sexuelle Vergnügen einen höheren Stellenwert bekommen hat als Pflichtbewusstsein und der Sinn für Verantwortung. Der sexuelle Akt wurde dadurch von der wahren Liebe getrennt und sein ursprünglicher und tatsächlicher Zweck der Zeugung von Kindern wurde zu einer lästigen Nebenerscheinung degradiert, vor der wir uns „schützen“ müssen (vgl. J.J. Pérez-Soba und S. Kampowski, ebd., Kap. 1).


26. FRAGE: Welcher Aspekt der sexuellen Revolution bedroht heute am schwersten die Familie?

ANTWORT: Ohne Zweifel ist es die Gender-Ideologie. Sie theoretisiert, dass der Mensch von Geburt an von einem anarchischen, „polimorph perversen“ Instinkt beherrscht wird, der zu jeglichem erotischen Objekt tendieren kann und für sich jede beliebige sexuelle Identität oder Rolle frei wählen kann (daher Gender = Genus = Geschlecht). Jeder hat also das Recht, frei ein Geschlecht unter vielen möglichen zu wählen, um es später eventuell durch ein anderes einzutauschen, entsprechend einer neuen „sexuellen Orientierung“.
Nach dieser Ideologie hat die sexuelle Verschiedenheit zwischen Mann und Frau, und daher ebenso zwischen Ehemann und Ehefrau und zwischen Vater und Mutter ihren Ursprung nicht in der Natur, sondern wird dem Menschen von einer willkürlichen „Kultur“ durch ein diskriminierendes und unterdrückerisches System aufgezwungen. Institutionen wie Familie, Schule und Kirche, die die Bildung und Erziehung der Kinder beeinflussen, gelten als Säulen dieses Systems und als Hindernisse für die Kinder auf ihrem Weg zu einer freien Entscheidung über ihre „sexuelle Orientierung“ und „reproduktive Rolle“.
Die Gender-Ideologie zielt darauf ab, die Kinder und die Erwachsenen „von diesem Unterdrückungssystem zu befreien“, um durch die „Dekonstruktion“ der sexuellen und reproduktiven Rollenverteilung und der gesellschaftlichen Institutionen, besonders der familiären, schulischen und religiösen, eine „sexuell klassenlose Gesellschaft“ zu schaffen. Vertreter dieser Ideologie fordern daher, dass Schulprogramme und Programme der familiären „Umerziehung“ und der religiösen „Erneuerung“ das Weitergeben von Sitten und Glauben verbieten und durch die Lehren der Gender-Ideologie ersetzen sollen (vgl. O. Alzamora, Ideologia di genere: pericoli e portata, in: Päpstlicher Rat für die Familie, Lexicon cit. SS. 545-560)
Wie man sieht, zielt diese Revolution – ausgerufen 1995 in Peking auf der 4. Weltkonferenz der UNO über die Frau – auf eine gefährliche, antichristliche, sexuelle, kulturelle und soziale Unterwanderung ab, die sich leider auch in vielen katholischen Kreisen eingeschlichen hat und im Moment mehr Reaktionen unter Eltern hervorruft als unter den Vertretern der Kirche.

Quelle:
„Vorrangige Option für die Familie“
100 Fragen und 100 Antworten im Zusammenhang mit der Synode
von S.E. Erzbischof Aldo di Cillo Pagotto SSS, S.E. Bischof Robert F. Vasa und S.E. Weihbischof Athanasius Schneider