Fragen zur Familiensynode 2015 - VI
VI. Sittenlehre und pastorale Praxis
33.
FRAGE: Man hört immer wieder, die Synode
wolle gar nicht die Sittenlehre über die Familie ändern, sondern nur die
diesbezügliche Pastoral der Kirche „aktualisieren“. Ist das wahr?
ANTWORT: Einige Bischöfe behaupten, man hätte
nicht nur eine „Aktualisierung“ der Pastoral im Blick, sondern wolle auch über
Änderungen der Lehre entscheiden.
Diese
Sichtweise geht davon aus, dass der überlieferten Lehre heute nicht nur durch
die Praxis vieler Gläubiger widersprochen wird – was Tatsache ist –, sondern
auch durch die Forderungen der kirchlichen Pastoral, was eine Rechtsfrage
aufwirft. Um diesen Widerspruch zu beseitigen, wird vorgeschlagen, das Recht
den Tatsachen anzupassen, das heißt, die Sittenlehre zu „vertiefen“, indem man
sie den Notwendigkeiten der „neuen Pastoral“ anpasst, die auf die Ergebnisse
der „Anhörung“ des Gottesvolks gestützt werden soll.
Was die
Kirche allerdings wirklich braucht, ist eine echte Reform, die das Verhalten
der Christen wieder zu der Sittenreinheit und doktrinalen Integrität
zurückführt, von der man sich abgewendet hat.
Andere Prälaten brachten sogar eine These zum Ausdruck, die man wie folgt
zusammenfassen könnte: „Ein sexuelles Verhältnis, das objektiv sündhaft ist,
verliert in großem Maß seinen negativen moralischen Charakter, wenn beide
Partner dieses Verhältnis auf regulärer Basis beibehalten und gegenseitige
Treue zeigen“. Wenn man diesen Fehlschluss auf andere Bereiche ausdehnen
wollte, könnte man zum Beispiel sagen: „Wenn zwei Komplizen regelmäßig einen
Laden berauben und sich treu ihren gegenseitigen Abmachungen verhalten,
vermindert das spürbar den negativen Charakter des Verbrechens“.
34.
FRAGE: Auch wenn hier jetzt keine
Änderung der Lehre vorgeschlagen wird, sondern nur ein neuer „pastoraler
Ansatz“ - ist es überhaupt möglich, die Pastoral zu verändern, ohne dass damit
gleichzeitig auch die Lehre beeinflusst wird?
ANTWORT: Ebenso wie der Körper nicht von der
Seele, die ihn belebt, getrennt werden kann, kann auch die Pastoral keinesfalls
von der Sittenlehre getrennt werden, in der sie ihre Rechtfertigung findet.
Daher kann eine Änderung der Pastoral sehr leicht dazu führen, dass dadurch die
ihr zu Grunde liegende Lehre – zumindest indirekt – verändert wird.
Außerdem
gibt es keine neutralen Praktiken; jede Praxis setzt eine Theorie, eine
bestimmte Auffassung der Natur des Menschen, der Gesellschaft und der
Geschichte voraus. Der Begriff der Praxis als solcher setzt schon ein Ziel
voraus, auf das sie gerichtet sein soll, das heißt, ein Ideal, das es zu
verwirklichen gilt. In unserem Fall hat das Konzept einer „pastoralen Praxis“
nur dann Sinn und Wert, wenn es von der wahren Bedeutung von Kirche,
Menschlichkeit und Familie ausgeht.
„Die Pastoral ist eine Kunst, die sich auf
Dogmatik, Moral, Spiritualität und Recht gründet, um im konkreten Fall klug
vorgehen zu können. Es kann keine Pastoral geben, die nicht mit den
Glaubenswahrheiten und der Morallehre der Kirche übereinstimmt, die ihren
Gesetzen widerspricht oder die nicht auf das Erreichen des christlichen Ideals
ausgerichtet ist. Eine Pastoral, die im Gegensatz zur geglaubten und gelebten
Wahrheit der Kirche steht (…), wird leicht zu Willkür, die dem christlichen
Leben schaden wird“ (Kardinal Velasio de Paolis, In der Wahrheit Christi verbleiben, a.a.O. S. 157-158)
Der
Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Disziplin der Sakramente,
Kardinal Robert Sarah, erklärte vor kurzem: „Die
Idee, das Lehramt in einen schönen Schrein zu legen und es von der pastoralen
Praxis zu trennen, die sich nach Gegebenheiten, Moden oder Leidenschaften
entwickeln könnte, ist eine Form der Häresie, eine gefährliche pathologische
Schizophrenie“ (La Stampa,
24.2.2014)
35.
FRAGE: Wenn es schon nicht möglich ist,
die Lehre als solche zu ändern, ist es dann wenigstens erlaubt, durch eine neue
Pastoral die kirchliche Disziplin über die Familie zu modifizieren?
ANTWORT: Es hängt davon ab, was man unter
„Disziplin“ versteht. Häufig bezeichnet dieser Begriff nur ein System von
praktischen Regeln, die den Menschen in ihrem Denken und Tun behilflich sein
sollen. In diesem Sinn kann sie geändert werden. Es stimmt, dass es in der
Katholischen Kirche auf Vereinbarung beruhende und daher abänderbare
disziplinarische Konventionen gibt; es gibt aber auch disziplinarische Regeln
göttlichen Rechts, wie zum Beispiel die Zehn Gebote, die von der kirchlichen
Obrigkeit nicht geändert werden können.
Was die
Ehe und Familie betrifft, sind einige der geltenden disziplinarischen Normen
göttlichen Ursprungs, bestätigt und vervollständigt durch Jesus Christus selbst
und deshalb für die Kirche verbindlich; sie können von niemandem geändert
werden, auch nicht vom Papst.
„Es ist jedoch unbedingt zu
vermeiden, dass die pastorale Sorge als Gegenposition zum Recht missdeutet
wird. Man sollte vielmehr von der Voraussetzung ausgehen, dass der grundlegende
Berührungspunkt zwischen Recht und Pastoral die Liebe zur Wahrheit ist“ (Benedikt XVI., Sacramentum
Caritatis, Nachsynodales Apostolisches Schreiben vom 22. Februar 2007, Nr.
29).
36.
FRAGE: Sollte sich die Kirche in vielen
moralischen Fragen nicht der Mentalität und der Praxis der Mehrheit der
Gläubigen anpassen, die heute eine größere Flexibilität fordern?
ANTWORT: Die Kirche hat die mütterliche
Aufgabe, die Gläubigen zum Heil zu führen, indem sie sie auch in ihrem
Familienleben heiligt. Es sind also die Gläubigen, die sich den moralischen
Lehren der Kirche anpassen und dadurch in ihrem Leben die von Jesus Christus
gepredigten Wahrheiten verwirklichen müssen. Wie der emeritierte Erzbischof von
Bologna, Kardinal Giacomo Biffi, richtig zu sagen pflegt, müssen die Hirten,
deren Aufgabe es ist, ihre Herde zu weiden und die verlorenen Schafe zurück zur
Herde zu bringen, darauf achten, dass sie sich nicht selbst verirren, wenn sie
unklugen oder widerspenstigen Schafen nachlaufen.
Die
Mehrheitsmeinung der Gläubigen stellt kein Kriterium der theologischen
Wahrheitsfindung und schon gar keine
„Quelle der Offenbarung“ dar. Hinzu kommt noch, dass die gegenwärtige öffentliche
Meinung, auch die kirchliche, seit langem von Lobbies aus der Kulturszene und
den Medien manipuliert wird, die eine radikale antichristliche Revolution
betreiben. Der damalige Kardinal Ratzinger hat sich sehr ausführlich über die
Ungültigkeit des Kriteriums der Mehrheit in moralischen Fragen geäußert.
„Ein ernstes pastorales Problem besteht darin,
schreibt Kardinal Müller, dass manche
heute die christliche Ehe ausschließlich anhand weltlicher und pragmatischer
Kriterien beurteilen. Wer nach dem ,Geist der Welt‘ (1 Kor 2,12) denkt, kann
die sakramentale Natur der Ehe nicht begreifen. Auf dieses wachsende
Unverständnis gegenüber der Heiligkeit der Ehe kann die Kirche nicht durch
pragmatische Anpassung an das vermeintlich Unausweichliche reagieren; sie muss auf
,den Geist, der aus Gott stammt‘ vertrauen (1 Kor 2,12)“ (Kardinal Gerhard
Müller, Präfekt der Glaubenskongregation, Über
die Unauflöslichkeit der Ehe und die Debatte in Bezug auf die zivil
Wiederverheirateten und die Sakramente, in: In der Wahrheit Christi bleiben: Ehe und Kommunion in der katholischen
Kirche, Echter Verlag, Würzburg, 2014, S. 125).
37.
FRAGE: Sollte die Kirche nicht – in Anlehnung an das mosaische Gesetz – für
die „bedauerlichen Fälle“ derer, die in einer „unregelmäßigen Situation“ leben,
mehr Toleranz zeigen?
ANTWORT: Eine solche Toleranz würde das Gesetz
des Evangeliums durch das Gesetz des Moses ersetzen, mit der Gefahr, dass die
Gläubigen in die „Hartherzigkeit“ verfallen könnten, durch die Moses gezwungen
wurde, dem hebräischen Volk die Ehescheidung zu erlauben.
„Jesus betonte die
ursprüngliche Absicht des Schöpfers, dass die Ehe unauflöslich sei. Er hob die
Duldungen auf, die sich in das alte Gesetz eingeschlichen hatten“ (vgl. Mt 19, 7-9) (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2382).
„Die Kirche wird niemals müde, diese Wahrheit zu lehren
und zu bezeugen. Auch wenn sie mütterliches Verständnis für die zahlreichen und
komplizierten Krisensituationen, in die die Familien verwickelt sind, sowie
auch für die moralische Schwachheit jedes Menschen bekundet, ist die Kirche der
Überzeugung, dass sie der Wahrheit über die menschliche Liebe absolut treu
bleiben müsse: andernfalls würde sie sich selber verraten“ (hl.
Johannes Paul II., Gratissimam sana,
Brief an die Familien, vom 2. Februar 1994, Nr. 11).
38.
FRAGE: Stimmt es, dass die Toleranz für
unregelmäßige Situationen der Ehe in anderen Kirchen oder Religionen positive
Ergebnisse gebracht habe?
ANTWORT: Ganz im Gegenteil. In
protestantischen Ländern hat diese Methode der Toleranz katastrophale Folgen
gezeigt. „Hat diese Toleranz etwa zu
einer geistlichen Erneuerung der Kirche von England geführt? Blühen und
gedeihen die deutschen Lutheraner? Gibt es einen neuen Frühling für die
liberalen Presbyterianer Amerikas? Soziologische Fakten scheinen das Gegenteil
zu sagen“, wie die Professoren vom Päpstlichen Institut Johannes Paul II.
für Studien zu Ehe und Familie, Rom festgestellt haben (vgl. J. J. Perez-Soba und S. Kampowski,
a.a.O. S. 38)
39.
FRAGE: Es wird behauptet, die Zahl der
praktizierenden Gläubigen nehme ab, wenn eine strenge Befolgung gewisser
moralischer Vorschriften gefordert wird, wie zum Beispiel eheliche Treue. Wäre
es da nicht angebracht die Strenge dieser unpopulären Vorschriften zu lockern?
ANTWORT: Menschen, die in ungeordneten
Situationen leben, sind auch selten praktizierende Katholiken. Außerdem fällt
die Zahl der Praktizierenden nicht, wenn zur Befolgung gewisser moralischer
Vorschriften ermutigt wird; im Gegenteil, sie steigt an, ebenso wie auch die
geistlichen Berufungen zunehmen, wenn von den Novizen ein strengeres Engagement
verlangt wird.
„Auf der anderen Seite sind die wachsenden Kirchen
und kirchlichen Gemeinschaften gerade diejenigen, die sehr anspruchsvolle und
der Gegenwartskultur gegenläufige sittliche Anforderungen stellen“ sagt
Prof. Kampowski mit Bezug auf das Buch How
the West really lost God [Wie der Westen Gott wirklich verloren hat] der
amerikanischen Soziologin Mary Eberstadt (J.J. Perez-Soba und S. Kampowski,
a.a.O. S. 39)
40.
FRAGE: Wäre es in Anbetracht der
Tatsache, dass heute viele Katholiken die Moralvorschriften der Kirche nicht
mehr befolgen, nicht angebracht, gewisse irreguläre Situationen zu tolerieren,
um mehr Menschen zur Kirche zu bringen?
ANTWORT: Die Möglichkeit einer – in der Praxis
höchst unwahrscheinlichen – Zunahme der religiösen Praxis bei einigen Personen,
die in irregulären – das heißt, unrechtmäßigen und unmoralischen – Situationen
leben, darf keinesfalls um den Preis erkauft werden, dass dafür die Moral des
Evangeliums und das Lehramt der Kirche verleugnet werden und dadurch der Glaube
der treuen und ordentlich lebenden Katholiken geschwächt wird.
Eine
Änderung der zweitausendjährigen Lehre und Praxis der Kirche über die Ehe würde
die Glaubwürdigkeit all dessen, was die Kirche morgen lehren könnte, von
vornherein zerstören.
Quelle:
„Vorrangige Option für die Familie“
100 Fragen und 100 Antworten im Zusammenhang mit der Synode
von S.E. Erzbischof Aldo di Cillo Pagotto SSS, S.E. Bischof Robert F. Vasa und S.E. Weihbischof Athanasius Schneider
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