Genazzano: Begegnung mit der Ewigkeit
Willy Gattermann
Dem Rompilger, der einige Stunden oder gar einige Tage Ruhe und Gelegenheit zur Besinnung nach tagelangem Besuch der Ewigen Stadt sucht, sei das etwa 60 Kilometer östlich liegende Genazzano, ein rustikaler und verschlafener 5000-Seelen Ort in den Prenestinischen Bergen. Man fährt bis zum Bergfuß und – will man die Wallfahrtskirche besuchen – geht dann die kleinen und verwinkelten Gassen hoch. Die alten Häuser aus Stein, wie aus dem Felsen herausgeknetet und eins mit dem Berg, auf dem sie stehen - man kommt sich wie in einem impressionistischen Bild vor-, betrachten einen mit einer Miene, als ob sie sich fragen würden, ob man überhaupt dazu gehört: Man dringt in einen geheimnisvollen und zeitlosen Raum und läßt alle weltlichen Gedanken hinter sich, angezogen von der mystischen Kraft des Gnadenbildes. Nach wenigen Minuten und etwas suchen erreicht man das Heiligtum, den “Santuario della Madre del Buon Consiglio”, von Augustinern seit eh und je geführt. Die offene Tür führt mich in das dunkle Seitenschiff, an dessen Ende die von Fenstern in der Decke beleuchteten Kapelle mit dem Gnadenbild. Die Stille ist einnehmend, freundlich. Das Bild der Muttergottes zieht einen an und fragt, wo man die ganze Zeit gewesen sei, wieso man so lange gebraucht hätte, um zu kommen, etwa wie eine Mutter ihrem verspätet nach Hause gekommenen Sohn. Tatsächlich hat man das Gefühl, man sei nicht das erste Mal hier, sondern bloß abwesend gewesen. Draußen in der Welt, fern von dieser Gnadenquelle, fern von Zuhause, fern von der himmlischen Mutter. Kniet man, um zu beten, beginnt ein Dialog mit der Mutter vom Guten Rat von Genazzano. Was man zu Bitten vorhatte, vergißt, denn gleich zu Beginn spürt man, daß es in diesem Gespräch nicht um das alltägliche gehen wird, sondern um die Dinge, die wirklich das Herz bewegen, die wirklich das Leben betreffen. Im Herzen spricht die Mutter die Probleme an, die man als ungelöst verdrängt hatte, die Knoten, die bislang ungelöst waren, die Sorgen, die den Blick nach vorne versperren, die Hindernisse, die man selber der Gnade stellt, die falschen Entscheidungen im Leben, die man korrigieren muß . . . Im Heiligtum wartet Rat auf uns, der Rat der Muttergottes und unsere, die zu uns aus der Ewigkeit spricht.
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