Herz Jesu und Herz Mariä

... Wenn sich Christen zu allen Zeiten und an allen Orten an Maria wenden, dann lassen sie sich dabei von der spontanen Gewissheit leiten, dass Jesus seiner Mutter ihre Bitten nicht abschlagen kann; und sie stützen sich auf das unerschütterliche Vertrauen, dass Maria zugleich auch unsere Mutter ist - eine Mutter, die das größte aller Leiden erfahren hat, alle unsere Nöte mitempfindet und mütterlich auf ihre Überwindung sinnt. Wie viele Menschen sind Jahrhunderte hindurch zu Maria gepilgert, um vor dem Bild der Schmerzensreichen - wie hier in Etzelsbach - Trost und Stärkung zu finden! Schauen wir ihr Bildnis an! Eine Frau mittleren Alters mit schweren Augenlidern vorn vielen Weinen, den Blick zugleich versonnen in die Feme gerichtet, als bewegte sie alles, was geschehen war, in ihrem Herzen. Auf ihrem Schoß liegt der Leichnam des Sohnes, sie fasst ihn behutsam und liebevoll, wie eine kostbare Gabe. Wir sehen die Spuren der Kreuzigung auf seinem entblößten Leib. Der linke Arm des Toten weist senkrecht nach unten. Vielleicht war die Skulptur der Pieta, wie oft üblich, ursprünglich über einern Altar aufgestellt. Der Gekreuzigte weist so mit seinem ausgestreckten Arm auf das Geschehen auf dem Altar hin, wo das heilige Opfer, das er vollbracht hat, in der Eucharistie Gegenwart wird. Eine Besonderheit des Gnadenbilds von Etzelsbach ist die Lage des Gekreuzigten. Bei den meisten Pieta-Darstellungen liegt der tote Jesus mit dem Kopf nach links. Der Betrachter kann so die Seitenwunde des Gekreuzigten sehen. Hier in Etzelsbach jedoch ist die Seitenwunde verdeckt, weil der Leichnam gerade nach der anderen Seite ausgerichtet ist ... Im Etzelsbacher Gnadenbild sind die Herzen Jesu und seiner Mutter einander zugewandt; die Herzen kommen einander nahe. Sie tauschen einander ihre Liebe aus. Wir wissen, dass das Herz auch das Organ der tiefsten Sensibilität für den anderen wie des innigsten Mitgefühls ist. Im Herzen Marias ist Platz für die Liebe, die ihr göttlicher Sohn der Welt schenken will. ... Die Gläubigen haben betend, leidend, dankend und freudig immer wieder neue Aspekte und Attribute gefunden, die uns dieses Geheimnis besser erschließen können, z.B. im Bild des Unbefleckten Herzens Marias als Symbol der tiefen und der vorbehaltlosen Einheit der Liebe mit Christus ... <es ist> die Haltung der Hingabe, des sich Weggebens, die auf das Herz Marias und damit auf das Herz Christi ausgerichtet ist und auf den Nächsten ausgerichtet ist und so uns erst uns selber finden lässt. „Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt, bei denen, die nach seinem ewigen Plan berufen sind“ (Röm 8,28) ... Gott hat bei Maria alles zum Guten geführt, und er hört nicht auf, durch Maria das Gute sich weiter ausbreiten zu lassen in der Welt. Vorn Kreuz herab, vom Thron der Gnade und der Erlösung, hat Jesus seine Mutter Maria den Menschen zur Mutter gegeben. Im Moment seiner Aufopferung für die Menschheit macht er Maria gleichsam zur Vermittlerin des Gnadenstroms, der vom Kreuz ausgeht. Unter dem Kreuz wird Maria zur Gefährtin und Beschützerin der Menschen auf ihrem Lebensweg. „In ihrer mütterlichen Liebe trägt sie Sorge für die Brüder und Schwestern ihres Sohnes, die noch auf der Pilgerschaft sind und in Gefahren und Bedrängnissen weilen, bis sie zur ewigen Heimat gelangen“, so hat es das Zweite Vatikanische Konzil formuliert (Lumen Gentium, 62). Ja, wir gehen durch Höhen und Tiefen, aber Maria tritt für uns ein bei ihrem Sohn und hilft uns, die Kraft seiner göttlichen Liebe zu finden und sich ihr zu öffnen. Unser Vertrauen auf die wirksame Fürsprache der Gottesmutter und unsere Dankbarkeit für die immer wieder erfahrene Hilfe tragen in sich selbst gleichsam den Impuls, über die Bedürfnisse des Augenblicks hinauszudenken. Was will Maria uns eigentlich sagen, wenn sie uns aus einer Not errettet? Sie will uns helfen, die Weite und Tiefe unserer christlichen Berufung zu erfassen. Sie will uns in mütterlicher Behutsamkeit verstehen lassen, dass unser ganzes Leben Antwort sein soll auf die erbarmungsreiche Liebe unseres Gottes. Begreife - so scheint sie uns zu sagen -, dass Gott, der die Quelle alles Guten ist und der nie etwas anderes will als dein wahres Glück, das Recht hat, von dir ein Leben zu fordern, das sich ganz und freudig seinem Willen überantwortet und danach trachtet, dass auch die anderen ein Gleiches tun. „Wo Gott ist, da ist Zukunft“. In der Tat - wo wir Gottes Liebe ganz über unser Leben und in unserem Leben wirken lassen, da ist der Himmel offen. Da ist es möglich, die Gegenwart so zu gestalten, dass sie mehr und mehr der Frohbotschaft unseres Herrn Jesus Christus entspricht. Dort haben die kleinen Dinge des Alltags ihren Sinn, und dort finden die großen Probleme ihre Lösung. In dieser Gewissheit beten wir zu Maria, in dieser Gewissheit glauben wir an J esus Christus, unseren Herrn und Gott. Amen. © L.E.V Quelle: Papst Benedikt XVI. im Eichsfeld 2011 in Informationen aus Kirche und Welt, Augsburg, Juni 2017, S.2