Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben und Hoffnung



Da ist einer, der diesem Tod entgegengeht, angenagelt zwischen den Balken des Kreuzes. Er nimmt den Tod freiwillig auf sich, um den Willen des Himmlischen Vaters zu erfüllen. Er entläuft nicht. Er steigt nicht herab vom Kreuz, wie von ihm die Spötter es verlangt haben. Er verbirgt die Schmach nicht, bis die Dunkelheit von Kalvaria ihn wie ein Mantel umkleidet. Er harrt als hängende Last zwischen den Nägeln in den so entsetzlich langen Stunden aus, um immer erneut in den sengenden Flammen des Sterbens sein JA zu sprechen. — Und indem er alles erfüllt, steht nun Gott, der Absolute, dem wir im Paradies entlaufen sind, wieder zwischen den Menschen.
Dieser Jesus hat Gott, seinem Vater, nicht nur durch sein Wort und durch seine Lehre verkündet, sondern was er sagt, offenbart sich an Fleisch und Blut und er erfüllt es in Schmerzen, obwohl auch er bittet, dass der Kelch des Leidens vorübergehe. Dieser Sohn Davids, der von den Propheten vorausverkündet wurde, erfüllt durch sein umfassendes JA nach Geist und Buchstaben die Heiligen Schriften. Der Wille Gottes geht mit ihm durch die Gefangennahme, durch das Verlassenwerden von seinen Jüngern, durch Verhöre, Geißelung und Dornenkrönung, durch die Verurteilung und mitten durch das Kreuz und den Tod.
„Eloi, Eloi, lama sabaktani!“, „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen!“ Das ist die äußerste Konsequenz der Sünde, die er als das „Lamm Gottes“ trägt: die Verlassenheit der Kreatur von ihrem Herrn und Schöpfer. Die Lebenden, die da unter dem Kreuz stehen, sind schon zurückgeblieben. Sie gehören bereits einer anderen Welt an. Denn wenn der Mensch den Weg der Ewigkeit betritt, dann sieht er erst das wahre Chaos, das die Sünde verursacht: die schuldbare Abwesenheit Gottes, des Urgrundes des Lebens. Als der am Kreuze so ruft, gibt es nur einen,der helfen kann. Doch der Herr ist nicht da; denn vor der Paradiespforte stehen noch immer mit flammenden Schwerten die Cherubinen.

Und so ward der am Kreuz gelassen, verlassen von allen, selbst noch von seinem Gott. Er aber hielt die Verlassenheit in großer Liebe gehorsam aus, bis er das Wort sprach: „In Deine Hände befehle ich meinen Geist!“ In dieser Stunde schritt Gott wieder durch die Paradiesespforte in unsere Welt hinein und ER ist gegenwärtig in dem, an dem er sein Wohlgefallen hat. Am Kreuz offenbart sich die tragende Mitte Jesu: „Der Wille seines Vaters.“ Hier endet die Rebellion des Menschen endgültig. Vom Kreuz aus ist die Schöpfung wieder hineingerufen in das absolute JA zum Anfang, zum Urgrund, zum Dich und Mich Rufenden, zum Heiligen, zum Lebendig-Schaffenden-Gott.
Als der Herr in einem letzten lauten Schrei sein Leben dahingab, — als er den Riss unserer Zerstörung durchlitt, — als er die wahre Verwüstung unseres Inneren in jener verlorenen Einsamkeit des Todes, in jenem stechenden Schmerz einer menschlichen Existenz durchschritten hat, — und als er dies tat in vollem Einverständnis mit dem Willen dessen, der die Strafe für uns Menschen gesetzt hat, da waltet neu in der gesamten Schöpfung der wahrhaftige Sinn: „Das Wohlgefallen Gottes“.
Nun wurde vom rationalen Geschöpf aus seiner Kraft der Scheidung und Entscheidung die Herrlichkeit und die Hoheit des Allgewaltigen wieder voll anerkannt. Dies offenbart sich in Fleisch und Blut, Leib, Seele und Psyche, Geist und Gebein.

Quelle: Pilgerfahrt nach Fatima – 1967 – P. OTTO MAIER SJM – SJM-Verlag – Neusäß