John Henry Newman: „Seid stark im Herrn!“
Übrigens, meine Brüder, seid stark im Herrn und in der Macht seiner Kraft! (Eph 6,10)
(Links) Die Kanzel in der Kirche St. Mary the Virgin in Oxford, von der aus Newman bis 1843 seine berühmten Predigten hielt. Die Predigt an Mariä Lichtmess 1831 schloss er so: „Dass doch der Herr in seiner Güte seine Kirche in dieser ihrer Schicksalsstunde retten und bewahren möge, jetzt, da der Satan versucht zu unterminieren, was er nicht offen anzugreifen wagt! Er, der Herr, lasse Werkzeuge seiner Gnade aufstehen, die die Ränke des Bösen durchschauen. Klare Augen, starke Herzen, kräftige Arme gebe er ihnen, damit sie das kostbare Gut des Glaubens, ehedem den Heiligen anvertraut, schützen und verteidigen, dass sie aufrütteln und zu den Waffen rufen die schläfrigen Bruder.“ John Henry Newman hat die hier wiedergegebene Predigt am 1.3.1840, gehalten, also noch vor seiner Konversion im Jahre 1845. Eindringlich mahnt der junge Geistliche sich und seine Zuhörer, die Berufung zum Christ-Sein ernst zu nehmen. »Es reicht gewiss nicht hin, das Böse zu meiden, um den Himmel zu erlangen, - wir müssen nach dem Guten streben. Welches ist also die Gefahr vieler Christen? Die des unnützen Knechtes, der das Geld seines Herrn verbarg. Wir mögen noch nicht aus dem Stand der Rechtfertigung gestoßen sein und doch bar jener Liebe zu Gott, der Liebe zur göttlichen Wahrheit, der Liebe zur Heiligkeit, der Liebe zu einem tätigen und großmütigen Gehorsam, jener aufrichtigen Selbsthingabe, die allein uns im Jenseits die gesegneten Worte verbürgen wird: „Wohlan, du guter und getreuer Knecht; gehe ein in die Freude deines Herrn“ (Mt 25,21). Die einzige Tugend, die uns für den Himmel nützen wird, ist die Liebe zu Gott. Wir mögen uns grober Sünden enthalten und doch nicht diese göttliche Gabe besitzen, „ohne die wir tot sind“ in Gottes Augen. Diese wandelt unser ganzes Sein; diese belebt uns; diese lässt uns wachsen in der Gnade und überfließen in guten Werken; diese macht uns tauglich für Gottes Gegenwart im Jenseits. Keiner kann bezweifeln, dass wir immer wieder in der Schrift ermahnt werden, heilig und vollkommen zu sein, heilig und untadelig in den Augen Gottes zu sein, heilig zu sein, wie Er heilig ist, die Gebote zu halten, das Gesetz zu befolgen, mit der Frucht der Gerechtigkeit erfüllt zu sein. Warum gehorchen wir nicht, wie wir sollten? Viele werden antworten, dass wir eine gefallene Natur haben, die uns daran hindert; dass wir es nicht vermeiden können, ob wohl es uns sehr leid tun sollte; dass dies der Grund unseres Versagens ist. Nicht so: Wir können es vermeiden; wir werden nicht gehindert; was uns fehlt, ist der Wille, und es ist unsere eigene Schuld, dass wir ihn nicht haben. Alles Nötige ist uns gewährt; Gottes Erbarmungen gegen uns sind überreich; in uns wohnt ein Abgrund von Kraft und Stärke; aber wir haben nicht das Herz, wir haben nicht den Willen, wir haben nicht die Liebe, sie zu nützen. Uns fehlt das eine, ein Verlangen erneuert zu werden; und ich glaube, jeder, der sich sorgfältig prüft, wird zugeben, dass es fehlt und dass dies der Grund ist, warum wir nicht gehorchen können und nicht gehorchen oder keine Fortschritte machen in der Heiligkeit. Dass wir diese große Gabe in uns tragen oder im Stand der Gnade sind - denn die beiden Aussagen meinen nahezu das gleiche -, erhellt natürlich aus der Schrift. Denket an die herrlichen Worte des heiligen Paulus in dem Brief, dem der Vorspruch entnommen ist, wenn er die Ehre Dem gibt, „der überschwänglich alles mehr tun kann, als wir erbitten oder verstehen, nach der in uns wirksamen Kraft“ (Eph 3,20). Ihr beachtet hier, dass uns Christen eine Kraft gegeben ist, die „in uns wirkt“, eine besondere, verborgene, geheimnisvolle Kraft, die uns zu ihrem Werkzeug macht. Wir haben ein geistiges Prinzip in uns, wenn wir es nur anwenden wollten, so mächtig, so wunderbar, dass alle Kräfte der sichtbaren Welt, alle erdenklichen Kräfte des Stoffes, alle physikalischen Wunder, die heute eines nach dem anderen entdeckt werden, die beinahe Zeit und Raum sprengen, die der Zahlen spotten und dem Geist gleichzukommen suchen, dass alle diese Kräfte der Natur nichts sind im Vergleich zu dieser Gabe in uns. Warum sage ich das? Weil der Apostel uns verkündet, dass Gott imstande ist, »alles überschwänglich mehr zu tun, als wir erbitten oder verstehen«. Und daher sagt er anderswo: „Ich vermag alles in Christus, der mich stärkt“. (Phil 4,13). Wir haben die Kraft Seiner Macht; und nicht nur das, sondern die Stärke der Kraft der Macht Dessen, der allmächtig ist. Fragen wir uns: woher kommt es, dass wir so oft recht zu handeln wünschen, aber es nicht können? Woher kommt es, dass wir so hinfällig schwach, matt, wankelmütig, kurzsichtig, schwankend und eigensinnig sind? Woher kommt es, dass wir nicht „das tun können, was wir möchten“ (Röm 7,19)? Woher kommt es, dass wir Tag für Tag unentschlossen bleiben, dass wir Gott so ärmlich dienen, dass unsere Selbstbeherrschung so schwach und so unbeständig ist, dass wir nicht Herr über unsere Gedanken sein können, dass wir so träge, so feige, so unzufrieden, so sinnlich und so töricht sind? Woher kommt es, dass wir selbst im Reich der Gnade, umgeben von Engeln und angeführt von Heiligen, so wenig tun können, und anstatt mit Adlerschwingen emporzusteigen, im Staube kriechen und eben heute sündigen und morgen die Sünden wieder bekennen? Kommt es daher, dass die Kraft Gottes nicht in uns ist? Ist es buchstäblich wahr, dass wir Gottes Gebote nicht erfüllen können? Gott bewahre! Wir können es. Wir besitzen jene Gabe, die uns dazu befähigt. Wir sind nicht in einem bloßen natürlichen Zustand. Wir haben die Gabe der Gnade in uns eingepflanzt erhalten. Wir haben eine Kraft in uns, um zu tun, was uns befohlen wird. Was ist es, das uns fehlt? Die Kraft? Nein; der Wille. Was uns fehlt, ist das wirkliche, einfache, ernste, aufrichtige Wollen und Bestreben, das zu benützen, was Gott uns gegeben hat und was wir in uns tragen. Ich meine, unsere Erfahrung sagt uns dies. Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Ist nicht die Fähigkeit, unsere Glieder zu gebrauchen, uns schon von Natur aus eigen? Was also ist Trägheit anderes als ein Mangel an Willen? Wenn wir ein Ziel nicht so entschlossen anstreben, dass wir die Unannehmlichkeit der Mühe überwinden, bleiben wir, wie wir sind; - wo wir uns betätigen sollten, sind wir träge. Aber ist die Mühe überhaupt noch Mühe, wenn wir das wirklich wollen, was der Mühe bedarf? Wenn einer sich beklagt, dass er unter der Herrschaft irgendeiner schlechten Gewohnheit stehe, so soll er sich ernsthaft fragen, ob er jemals gewillt war, sich von ihr los zu machen. Kann er geraden Herzens vor Gottes Augen sagen: »Ich will davon befreit sein?« Es kann einer beim Gebet nicht andächtig sein; sein Geist wandert; andere Gedanken drängen sich auf; Tag für Tag vergeht, und es ist immer dasselbe. Sollen wir sagen, das komme vom Mangel an Kraft? Natürlich mag das so sein; aber bevor einer so sagt, bedenke er, ob er je sich zusammengenommen, sich aufgerüttelt, sich wachgerufen, sich gezwungen hat, wenn ich so sagen darf, andächtig sein zu wollen. Es gibt ein berühmtes Beispiel eines Heiligen aus alter Zeit. Vor seiner Bekehrung fühlte er zwar den hohen Wert der Reinheit, aber er konnte sich nicht dazu bewegen, im Gebet mehr zu sagen als: „Gib mir Keuschheit, aber nicht jetzt“... Wir hören heutzutage viel über die Unmöglichkeit, himmlische Reinheit zu erlangen; - damit will ich durch aus nicht behaupten, dass nicht jeder seine besondere Gabe von Gott hat, der eine diese, der andere jene; aber ihr Kinder dieser Welt, wenn ihr wirklich so viel von der Unmöglichkeit dieser oder jener übernatürlichen Tugend redet, wenn ihr nicht an die Wirklichkeit strenger Selbstbeherrschung glaubt, wenn ihr über heilige Vorsätze spottet, wenn ihr jene tadelt, die sie machen, seid ihr dann sicher, dass die Unmöglichkeit, auf die ihr so pocht, im Wesen und nicht im Willen liegt? Lasst uns nur wollen, und unsere Natur wandelt sich, „gemäß der Kraft, die in uns wirkt“. Saget nicht zur Entschuldigung für andere und euch, dass ihr nicht anders sein könnet, als Adam euch gemacht hat; ihr habt euch nie zu diesem Wollen aufgeschwungen. Wir haben selten das Herz, uns, wenn ich so sagen darf, in die Arme Gottes zu werfen; wir wagen es nicht, uns den Wellen anzuvertrauen, obwohl Christus uns dazu auffordert. Wir haben nicht die Liebe des heiligen Petrus, die darum bittet, zu Ihm über den See kommen zu dürfen. Wenn wir einmal mit jener himmlischen Liebe erfüllt sind, können wir alles tun, weil wir alles versuchen, denn versuchen heißt tun. Möchte doch jeder sorgfältig darüber nachdenken, ob er jemals entdeckt hat, dass Gott ihn in der Prüfung im Stich ließ, wenn sein eigenes Herz ihn nicht im Stich gelassen hat... Das Samenkorn muss zum Baume werden. Wir werden wiedergeboren, damit wir täglich nach dem Bilde Dessen erneuert werden, der uns wiedergeboren hat. „Seid stark im Herrn“, sagt der Apostel, „und in der Macht Seiner Kraft. Ziehet an die Waffenrüstung Gottes“ (Eph 6,13), umgürtet eure Lenden mit Wahrheit, rüstet euch mit dem Panzer der Gerechtigkeit ... Die Liebe vermag alles; „die Liebe hört nie auf (l Kor 13,8); wer den Willen hat, hat die Kraft. Gott befähigt uns zu wollen und zu tun; von Natur aus können wir nicht wollen, aber durch die Gnade können wir es; und wenn wir nicht wollen, sind wir die Ursache des Versagens. Was kann die allmächtige Barmherzigkeit noch für uns tun, das sie nicht schon getan hätte? „Er hat alles gegeben, was zum Leben und zur Göttlichkeit führt“; und wir können folglich „unsere Berufung und Auserwählung gewiss machen“, wie es die Heiligen Gottes taten. Gewiss sind wir alle in mancher Hinsicht bis zum Ende nur Menschen; wir hungern, wir dürsten, wir bedürfen der Nahrung, des Schlafes, der Gesellschaft, der Unterweisung, der Ermutigung, wir bedürfen des guten Beispiels; doch wer kann die Höhen nennen, zu denen jene Menschen mit der Zeit in allem gelangen können, die Schritt für Schritt beginnen? Doch wir sitzen kalt und träge daheim; wir legen die Hände in den Schoß und rufen: „Noch ein wenig Schlummer“ (Spr 6,10); wir schließen unsere Augen, wir können nicht die Dinge in weiter Ferne sehen, wir können nicht „sehen das Land der Ferne“ (Is 33,17); wir verstehen nicht, dass Christus uns zur Nachfolge ruft; wir hören nicht die Stimme Seiner Herolde in der Wüste; wir haben nicht das Herz, zu Ihm hin aus zugehen, der die Brote vermehrt und uns nährt mit jedem Wort aus Seinem Mund. Andere Adamskin der haben ehemals in Seiner Kraft getan, was wir bei Seite schieben. Wir fürchten uns, zu heilig zu sein. Andere beschämen uns; ringsum tun andere, was wir nicht tun wollen. Andere dringen tiefer in das Himmelreich ein als wir. Andere kämpfen gegen ihre Feinde mit größter Treue und Tapferkeit. Die Ungebildeten, die Unbegabten, die Kinder, die Schwachen und Einfältigen treten mit Schleuder und Kieseln aus dem Bach dem Goliath entgegen, als wäre das eine göttliche Waffenrüstung. Die Kirche hebt sich um uns her Tag für Tag himmelwärts, und wir tun nichts als einwenden, wegerklären, kritisieren, entschuldigen oder uns verwundern. Wir fürchten uns, das Los mit den Heiligen zu teilen, aus Furcht, wir würden ein Grüppchen; wir schrecken davor zurück, das schmale Tor zu suchen, denn wir wollen nicht zu den wenigen, sondern zu den vielen gehören. O möchten wir doch treu und voll Liebe sein, ehe unser Lauf vollendet ist! Möchten wir doch, ehe unsere Sonne ins Grab sinkt, etwas mehr lernen von dem, was der Apostel die Liebe Christi nennt, die die Erkenntnis übersteigt, und einige Strahlen der Liebe auffangen, die von Ihm kommen! Besonders in dieser heiligen Zeit, die jetzt naht, da Christus uns in die Wüste ruft, wollen wir unsere Lenden gürten und furchtlos dem Ruf gehorchen. Nehmen wir unser Kreuz auf uns und folgen wir Ihm nach.« Quelle: Der Fels, August/September 2010. 86916 Kaufering, Eichendorferstr. 17.Helfen Sie uns mit einer Spende, die Andacht zu Muttergottes in Deutschland zu verbreiten.
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