Karfreitag

Wenn in einem Hause ein Sterbender mit dem Tode ringt, dann geht alles auf leisen Sohlen, mit gedämpfter Stimme sprechen alle stille Worte, ein geheimer Schauer geht durch die Räume. Diese heilige Stille des Sterbezimmers, diese scheue Ehrfurcht vor der Majestät des Todes erfüllt am Karfreitag auch die Kirchenräume und beherrscht die Liturgie. Keine Glockentöne rufen die Beter zur Kirche, kein Lichtlein brennt am Altar, mit schwarzen Tüchern sind sogar die Fenster behängt, so dass kein heller, lichter Sonnenstrahl ins Kircheninnere dringen kann. „Finsternis entstand, als die Juden Jesus kreuzigten.“ Im schwarzen Messkleid tritt der Priester wie bei einem Totengottesdienst an den Altar, wirft sich an der untersten Stufe zu Boden und bleibt das Angesicht mit den Händen verhüllend, eine Weile stumm liegen. Es ist das ein Herzergreifender Ausdruck der tiefsten Trauer, des herbsten Schmerzes, der aus dem Trubel der Welt in die Einsamkeit flieht und Trost sucht im Alleinsein. Nach der erschütternden Stille dieser schweigenden Andacht folgen drei Lesungen: zwei Lesungen aus dem Alten Testament, die sich auf den Tod des Herrn und seine Auferstehung beziehen, und als dritte Lesung folgt wieder, wie am Palmsonntag, die Passion, und zwar lässt die Kirche am Karfreitag die Leidensgeschichte vom Liebesjünger des Herrn erzählen, der selber unter dem Kreuz gestanden war. In der Passion haben wir das große Versöhnungsopfer betrachtet. Der Friede mit Gott ist wieder hergestellt, die Aussöhnung zwischen Himmel und Erde ist vollzogen. Friede soll aber auch alle durch Christi Blut Erlösten umschließen. Darum folgen auf die Passion die feierlichen Fürbitten. Für alle Stände der Christenheit, für Sünder, Heiden und Juden erfleht der Priester Gnade und Barmherzigkeit. So war es in altchristlicher Zeit Brauch bei jeder heiligen Messe. Immer begann der Gläubigengottesdienst mit einem allgemeinen Fürbittgebet. Besonders schön passt dieses große, allumfassende Versöhnungsgebet am großen Versöhnungstag der Christenheit, am Karfreitag.
Jetzt folgt der Höhepunkt der Karfreitagsliturgie, die schönste Zeremonie des Karfreitagsgottesdienstes: die Verehrung des heiligen Kreuzes. Diese feierliche Zeremonie stammt aus der Kirche von Jerusalem. Aus den Jahren 380 bis 390 haben wir den Bericht einer Pilgerin namens Flavia, die uns erzählt, wie am Karfreitag in Jerusalem die Kreuzesreliquie in einem silbernen Schrein zur Verehrung ausgesetzt wurde und wie die Gläubigen kamen und in Ehrfurcht mit der Stirne das Kreuz berührten. Den ganzen Vormittag dauerte dieser Huldigungszug des Volkes. Auch in unser Karfreitagsfeier nimmt die Kreuzesverehrung eine hervorragende Stelle ein. Das seit dem Passionssonntag verhüllte Kreuz wird jetzt seiner Hülle entblößt. Mehr und mehr wird der Leib des Herrn sichtbar, bis er ganz enthüllt am Kreuz erscheint. Zaghaft zuerst und schüchtern (seine Seele zittert beim Gedanken: O Herr, was du erduldet ist alles meine Last; ich habe das verschuldet, was du getragen hast!), dann aber immer siegesfroher und heilsgewisser ruft der Priester dem Volke zu: „Das ist da Holz de Kreuzes, an dem das Heil der Welt gehangen. Kommt, lasst uns verehrend niederfallen!“ Und ergriffen kniet er sich vor das Keuzbild und küsst es in heiliger Ehrfurcht. Und so liegt es auf dem Boden, allen sichtbar, und in Andacht kommen während des Tages die Gläubigen und verehren das Zeichen des Heiles. Manche von uns sind schon am Sarge lieber Menschen gestanden. Ist uns da nicht schwer auf die Seele gefallen, was wir dem Toten jemals Unrecht getan hatten, jedes ungute Wörtlein, jeder kleine Schmerz? Wenn wir am Karfreitag vor dem Sterbebett Christi knien, vor dem Kreuz, fällt uns da gar nichts ein? Haben wir uns gar keines Undankes, keines Unrechtes gegen ihn anzuklagen? Oh, hören wir doch die Vorwürfe, die die Kirche während der Kreuzverehrung singen lässt! Hören wir was Jesus in wehmütiger Klage zu uns spricht: „Mein Volk, was tat ich dir? Betrübt ich dich? Antworte mir! Hab' aus Ägypten dich befreit, und hältst mir das Kreuz bereit. Dein Führer war ich vierzig Jahr, ich reichte dir das Manna dar, das Land des Segens gab ich dir, und du gibst mir das Kreuz dafür.“ Kann der Heiland gegen uns nicht ähnliche Vorwürfe erheben? Müssten nicht auch wir um Erbarmen und Vergeben rufen: „Heiliger Gott, heiliger starker Gott, heiliger unsterblicher Gott: erbarme dich unser! Im christlichen Altertum wurde die heilige Messe nicht immer und überall jeden Tag gefeiert. An manchen Tagen der Woche begnügte man sich mit dem „Lesegottesdienst“, unserer heutigen Vormesse. Vielfach wurde die heilige Eucharistie vom Sonntag her aufbewahrt, und die „vorgeweihten Opfergaben“ dann an einem der darauffolgenden Werktage genossen. Dieser Brauch hat sich am Karfreitag erhalten. Da finden wir noch den altchristlichen Lesergottesdienst mit Schriftlesungen, Psalmversen und Gebeten, und nach ihm die sogenannte, „verstörte Messe“, die Messe der vorhergeweihten Opfergaben. Es ist die nichts anderes als die frühchristliche Kommunionsfeier, aber kein Meßopfer. Es fehlt ja die Hauptsache: die Wandlung. Die Kirche ist heute so sehr vom blutigen Opfer Christi erfüllt, dass sie davon absieht, dessen unblutige Erneuerung, die hl. Messe zu feiern.

**** ****** *****