Maria am Fuß des Kreuzes

Unser himmlischer Vater hat sich unsere Schwächen erbarmt. Er wollte, dass unser Schmerz in seinem Übermaß Linderung erfahre. Wenn das Leid einen bestimmten Grad erreicht, quellen Tränen aus unseren Augen und es kommt zu einer Krise, in deren Verlauf das Bewusstsein unseres Unglücks nachlässt. Auf den Kalvarienberg hat Gott der Königin der Märtyrer diese Linderung versagt. Tränenlos, ohne in Ohnmacht zu fallen, ohne Schwäche des Geistes oder des Körpers blieb Maria am Fuß des Kreuzes stehen, solange die Todesqual ihres Sohnes andauerte. Was für eine Kraft hat sie in dieser schrecklichen Qual gestützt? Mit ganzer Seele glaubte sie an den unendlichen Preis dieses Opfers, das die himmlische Gerechtigkeit seit Jahrhunderten erwartete und dessen Opfergabe auch sie ein bisschen war. In der Liturgie zeigt di Kirche sie uns, wie sie ihren Blick trostlos auf den Gekreuzigten gerichtet hält: „Wenn ihr eure Augen liebevoll auf ihn gerichtet haltet“, singt sie im Offizium, „betrachtet weniger die bleichen Wunden, als vielmehr das Trumpfwerk der Erlösung“. Non tam vulnerum livorem quam mundi salutem. Maria sah in der Zukunft das Wort Christ in Erfüllung gehen: „Wenn ich erhöht sein werde auf dem Altar meines Kreuzes, werde ich die Welt durch meine Liebe an mich ziehen“. Um diese göttliche Liebe, die unser Leben verschönern und stärken soll, für uns zu gewinnen, nahm sie den Schmerz in der Fülle ihres heldenhaften Willens auf sich. Betrachtet aufmerksam die Szene, die sich da auf Golgotha abspielt. Vom Kreuz her neigt euch Jesus sterbend sein mit Dornen gekröntes Haupt entgegen. Mit seinen blutigen, fast schon brechenden Augen weist er hin auf die Jungfrau, die für euch das Blut ihres Unbefleckten Herzens vergiesst. Und mit ersterbender Stimme sagt er euch: „Das ist deine Mutter“. Ecce Mater tua. (Joh. 19, 27) Ein weiterer Gedanke stützte Maria auf dem Kalvarienberg. Sie kannte den wunderbaren Plan der Vorsehung. Nach der Demütigung – der Triumph; nach dem Tode – die Auferstehung. Jesus, der vor ihr mit dem Tode kämpfte, würde sie in der Siegesfreude wieder in die Arme schließen. Nach dem Karfreitag erwartete sie der Ostertag. Sie wusste, dass sich das Kreuz dereinst glorreich vor den Augen der Menschen erheben werde. ( P. Thomas de Saint Laurent – Die Jungfrau Maria) Quelle: Allianz mit Maria – Heft Nr. 1 – März/April 2013 – Hrsg.: DVCK e.V.