Neros Fackeln — 23. Juni

Wir nähern uns dem katholischen Hochfest Peter und Paul. Gleichsam als Einleitung zu dieser Feier begeht die Kirche am morgigen Tag außer dem Fest der Heiligen Johannes das Gedächtnis einer großen Menge von christlichen Helden, die man als Vorläufer der beiden Apostel im Martertod bezeichnen kann. Es handelt sich um die Märtyrer der ersten Christenverfolgung unter den Kaiser Nero. Nero war ein Urenkel des Kaisers Augustus und wurde mit siebzehn Jahren römischer Kaiser. Trotz der Jugend war er anfänglich ein guter Herrscher, weil er sich von erfahrenen Männern beraten ließ. Als er aber die Zwanzig überschritten hatte, geriet er unter den Einfluß schlechter Freunde, und da war es schnell um ihn geschehen. Der junge Kaiser gab sich dem Trunk hin und machte auch sonst unverzeihliche Dummheiten. Unter anderem trat er öffentlich als Harfenspieler und Sänger auf, und obwohl er eine Krähenstimme hatte, war er der festen Überzeugung, der größte Künstler aller Zeiten zu sein, und wehe dem, der anders von ihm sprach. Doch das waren mehr oder weniger Kindereien, bald sollte es mit Nero noch viel tiefer bergab gehen, denn er ließ seine Mutter und seine Gattin ermorden. Da zeigt sich wieder einmal klar, wohin der Mensch unter dem Einfluß schlechter Freunde geraten kann. Mit der Zeit verfiel der junge Kaiser immer mehr einem ausgesprochenen Größenwahn, und als er eines Tages von seinem Schloß auf dem Kapitolberg die Stadt Rom betrachtete, fand er, daß sie mit den alten Häusern und den engen krummen Gassen seiner kaiserlichen Größe nicht würdig sei. Eine neue Stadt müsse erbaut werden, mit prächtigen Palästen und breiten schnurgeraden Straßen. Wir aber sollte die alte Stadt verschwinden? Als die Frage vor dem Geist des halbwahnsinnigen Herrschers auftauchte, zog ein grausames Lächeln über das vom Laster entstellte Gesicht. Sein Plan stand sofort fest und gelangte kurze Zeit nachher auch zur Ausführung. In der Nacht zum 18. Juli des Jahres 64 nach Christi Geburt flammte an verschiedenen Ecken der Stadt Rom Brände auf, und weil bei der herrschenden Sommerhitze das Gebälk in den Häusern ausgetrocknet war, griff das Feuer gierig um sich. Bald war an ein Löschen nicht mehr zu denken. Wer übrigens löschen wollte, wurde von der Polizei daran gehindert. Sechs Tage und sieben Nächte wütete die Feuerbrunst, und von den vierzehn Stadtteilen Roms sanken elf in Asche. Der kaiserliche Verbrecher aber schaute von der Höhe des Schlosses dem Brand zu, freute sich wie ein Kind, spielte auf der Laute und sang Lieder dazu. Das waren glückliche Tage und Nächte für den grausamen Kaiser. Im Volk aber rumorte es, denn bald pfiffen die Spatzen den Namen des Brandstifters von den Dächern. Da merkte der Wüterich, daß er zu seit gegangen war, und nachdem ereine Weile nachgedacht hatte, gesellte er dem ersten Verbrechen noch ein zweites hinzu und beschuldigte die Christen, daß sie den Brand angelegt hätten. So entstand die erste römische Christenverfolgung, in deren Verlauf auch die Apostelfürsten Petrus und Paulus den Martertod erlitten. Niemand in Rom glaubte zwar dem kaiserlichen Verleumder, alle aber waren froh, einen Sündenbock gefunden zu haben. Um das aufgebrachte Volk von den Haßgedanken auf den wirklichen Übeltäter abzulenken, ersann Nero zur Belustigung der Römer für die Hinrichtung der Christen neue, unerhörte Grausamkeiten. Viele wurden in Tierhäute eingenäht und von wilden Hunden zerrissen. Andere kreuzigte man, aber am schrecklichsten war es, daß man eine große Zahl der unschuldigen Opfer an die Spitze hoher Masten band, sie mit Werg umwickelte, mit Pech begoß und zur Nachtzeit als lebendige Fackeln zur Beleuchtung der kaiserlichen Gärten anzündete. „Welch ein Scheusal war doch dieser Nero!“ Vier Jahre später erreichte Gottes strafende Hand den Verbrecher auf dem Kaiserthron. Das Volk riß ihm die Krone vom Haupt. Nero endete durch Selbstmord. Die katholische Kirche aber sagt in ihrem Heldenbuch nicht ohne berechtigten heiligen Stolz: „Alle waren Schüler der Apostel und sind die Erstlinge der Märtyrer, welche die Kirche von Rom, dieser reiche Boden der Blutzeugen, noch vor dem Martertod der Apostelfürsten in den Himmel entsandte.“ Wir Katholiken haben in der Tat herrliche Ahnen. Quelle: Kinder- und Hauslegende – Die Heiligen im Messbuch der Kirche – P. Robert Quardt SCJ - Verlag Herder – Freiburg im Breisgau