O Maria, wende deine barmherzigen Augen zu uns!

Maria ist ganz Auge, um mit unseren Nöten Mitleid zu haben und uns zu helfen. Dazu schreibt der heilige Alphons Maria von Liguori:

Der heilige Epiphanius nennt die göttliche Mutter vieläugig, weil sie ganz Auge ist, um uns Elenden hienieden zu Hilfe zu kommen. Bei Anwendung des Exorzismus an einem Besessenen gab einmal der böse Feind, befragt, was Maria tue, die Antwort: „Sie steigt auf und nieder.“ Er wollte sagen, diese gütige Herrin sei mit nichts Anderem beschäftigt, als auf die Erde herabzusteigen, um den Menschen Gnaden zu bringen, und zum Himmel aufzusteigen, um dort von Gott die Erhörung unserer Bitten zu erwirken. Mit Recht wird die allerseligste Jungfrau darum von dem heiligen Andreas Avellino die Geschäftsführerin des Himmels genannt, weil sie unablässig mit Werken der Barmherzigkeit beschäftiget ist, indem sie allen, den Gerechten wie den Sündern, Gnaden erflehet. Der Herr hat seine Augen auf die Gerechten gewendet, sagt David: ´Oculi Domini super justos` (Ps. 33, 16); aber die Augen unserer Herrin, sagt Richard con St. Lorenz, sind ebensowohl den Gerechten wie den Sündern zugewendet, denn die Augen Mariens sind nach ihm Augen einer Mutter, und eine Mutter schaut auf ihr Kind, nicht bloss dass es nicht falled, sondern dass sie, ist es gefallen, es wieder aufhebe.

Dieses offenbarte auch Jesus Christus selbst der heiligen Brigitta, indem Er sie die Worte an seine Mutter vernehmen ließ: `Mater, pete quid vis a me – Mutter, verlange von mir, was du willst` (Revel. Lib 6, c.23). Das ist die Sprache, die Jesus beständig im Himmel mit Maria führt, da es seine Lust ist, seiner geliebten Mutter in allem, was sie verlangt, zu willfahren. Aber was verlangt Maria? Die heilige Brigitta vernahm, wie sie ihrem Sohne erwiederte: `Misericordiam peto pro miseris – ich bitte um Barmherzigkeit für die Elenden`, als wollte sie sagen: mein Sohn, du hast mich bestimmt, Mutter der Barmherzigkeit, Zuflucht der Sünder, Fürsprecherein der Elenden zu sein, und du sagst mir, ich solle dich bitten, um was ich will; was kann ich nun anderes verlangen, als dass du Barmherzigkeit erzeigest den Elenden?

So voll bist du am Barmherzigkeit, o Maria, ruft mit Zärtlichkeit der heilige Bonaventura aus, un so bereit, den Elenden zu helfen, dass du kein anderes Verlangen, noch andere Sorge als diese zu haben scheinst. Und weil unter den Unglücklichen die Sünder die elendesten sind, so bittet Maria, wie der ehrwürdige Beda behauptet, ohne Aufhören ihren Sohn für die Sünder.
Schon während ihres Erdenwandels, sagt der heilige Hieronymus, war Maria so mitleidigen und gütigen Herzens gegen die Menschen, dass niemand über sein eigenes Leid solche Betrübnis fühlen konnte, wie Maria über fremdes. Dieses Mitleiden mit der Betrübnis anderer offenbarte sie bei der Hochzeit zhu Kana, wo sie beim Abgang des Weines, nach der Bemerkung des heiligen Bernhardin von Siena, das Amt einer gütigen Helferin auf sich nahm, ohne darum gebeten worden zu sein. Aus reinem Mitleid mit der Verlegenheit der Brautleute verwendete sie sich bei ihrem Sohne und erlangte von Ihm das Wunder der Verwandlung des Wassers in Wein.

Solltest du etwa, ruft der heilige Petrus Damianus an Maria sich wendend aus, solltest du, zur Königin des Himmels erhöhet, unseres Elendes vergessen können? Das ist nicht zu denken, denn eine Barmherzigkeit, so groß wie sie im Herzen Mariens herrscht, kann ein Elend, wie das unsrige, nicht vergessen. Auf Maria lässt sich das bekannte Sprichwort honores mutant mores – Ehren ändern die Sitten – nicht anwenden. Bei Weltleuten mag es der Fall sein, dass sie stolz werden und ihrer alten aber armen Freunde nicht mehr gedenken, wenn sie zu Ehren gelangen; nicht aber bei Maria, denn sie freut sich ihrer Erhöhung, um den Elenden um so mehr Hilfe bringen zu können. (Aus Die Herrlichkeiten Mariä, vom hl. Alfons Maria von Liguori)