Pius XII. über das Privatgebet
Manche sprechen auch
unsern Gebeten alle wirkliche Kraft ab oder suchen andern die Meinung
beizubringen, die privaten Gebete hätten vor Gott geringe Bedeutung: vielmehr
komme den öffentlichen, im Namen der Kirche verrichteten Gebeten der wahre Wert
zu, weil sie vom mystischen Leibe Jesu Christi ausgehen. Das ist durchaus nicht
richtig. Der göttliche Erlöser steht nicht nur in der engsten
Lebensgemeinschaft mir seiner Kirche als der Braut, sondern in ihr ist er auch
aufs innigste vereint mit der Seele jedes einzelnen Gläubigen und sehnt sich
danach, vor allem nach der heiligen Kommunion, traute Zwiesprache mit ihr zu
führen. Obgleich das öffentliche Gebet, das es von der Mutter Kirche selbst
verrichtet wird, wegen der Würde der Braut Christi jedes andere überprüft, so
entbehren wir doch auch alle andern, selbst die ganzen privaten Gebete, nicht
der Würde und Kraft. Sie tragen sogar viel bei zum Nutzen des ganzen mystischen
Leibes. Denn in ihm wird kein gutes Werk, kein Tugendakt von einzelnen Gliedern
vollbracht, de nicht infolge der Gemeinschaft zugute käme. Es ist den einzelnen
Menschen auch nicht verwehrt, deswegen, weil sie Glieder dieses Leibes sind,
besondere, auch zeitliche Gaben, für sich selbst zu erbitten, wenn dabei nur
die demütige Unterwerfung unter den Willen Gottes gewährt wird: sie bleiben ja
selbständige Personen und ihren persönlichen Bedürfnissen unterworfen. Welche
Hochschätzung endlich alle der Betrachtung himmlische Wahrheiten
entgegenbringen sollen, geht aus den amtlichen Äußerungen der Kirche sowie aus
der Übung und dem Vorbild aller Heiligen hervor.
An wen soll sich das Gebet richten?
Schließlich kann man auch der Auffassung begegnen, wir
dürfen unsere Gebete nicht unmittelbar an die Person Jesu Christi richten; sie
müssten sich vielmehr durch Christus an den Ewigen Vater wenden, da unser
Heiland als Haupt seines mystischen Leibes nur als „der Mittler zwischen Gott
und den Menschen“ angesehen werden dürfte. Aber eine solche Behauptung
widerspricht nicht nur dem Geist der Kirche und der Gewohnheit der Gläubigen,
sondern widerstreitet auch der Wahrheit. Christus ist nämlich, um Uns ganz klar
zu fassen, mit beiden Naturen zugleich das Haupt der ganzen Kirche; und im Übrigen
hat er auch selbst feierlich erklärt: Wenn ihr mich um etwas in meinem Namen
bitten werdet, werde ich es tun (Joh. 14, 14). Zwar werden zumal beim heiligen
Messopfer, wo Christus zugleich Opferpriester und Opferlamm ist und so in
besonderer Weise das Mittleramt ausübt, die Gebete meist durch seinen eingeborenen
Sohn an den Ewigen Vater gerichtet. Doch auch hier, selbst bei der heiligen
Opferhandlung, wendet sich nicht selten an das Gebet auch an den göttlichen
Erlöser. Es sollte doch allen bekannt und selbstverständlich sein, dass der
Mensch Jesus Christus zugleich Gottes Sohn und Gott selber ist. Und so
antwortet gewissermaßen die streitende Kirche, wenn sie das makellose Lamm und
die konsekrierte Hostie anbetet und anfleht, auf die Stimme der triumphierenden
Kirche, die nicht aufhört zu singen: „Dem der auf dem Throne sitzt, und dem
Lamme sei Preis und Ehre und Herrlichkeit und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit.“
(Geh. Offbg. 5, 18.)
Aus
der Enzyklika „Myrtici Corpus Christi“, 23 Juni 1943, von Pius XII.
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