Populus qui habitabat in tenebris vidit lucem magnam
Eine Weihnachtsmeditation von Plinio Correa de Oliveira
Am heiligen Weihnachtsfest überlagern sich sozusagen mehrere Vorstellungen. Vor allem öffnet uns die Geburt des Gotteskindes die Augen für die Tatsache der Menschwerdung. Die zweite Person der Allerheiligsten Dreifaltigkeit nimmt die menschliche Natur an und wird Fleisch aus Liebe zu uns. Außerdem ist dies der Anfang des irdischen Daseins unseres Herrn. Ein strahlender Anfang, der uns einen Vorgeschmack von all den wunderbaren Ereignissen seines öffentlichen und privaten Lebens gibt. Sein Höhepunkt wird ohne Zweifel das Kreuz sein. Inmitten der weihnachtlichen Freuden ist jedoch kaum Platz für finstere Gedanken. Tatsächlich ist unser Augenmerk nur auf die Erlösung gerichtet, die sich vom Kreuze her über uns ergießt. So ist Weihnachten die Ankündigung der nahenden Befreiung, ein Zeichen dafür, dass die Himmelspforten bald wieder offen stehen werden, dass sich die Gnade Gottes erneut über die Menschen ausbreiten wird, und dass Himmel und Erde unter dem Zepter eines Gottes, der nicht nur Richter, sondern auch Vater ist, endlich wieder eins werden.
Wenn wir uns jeden dieser Gründe zur Freude etwas näher ansehen, verstehen wir wohl, was dieser Weihnachtsjubel wirklich bedeutet, diese von Frieden und Liebe gesalbte christliche Fröhlichkeit, die allen Menschen einige Tage lang ein Gefühl verschafft, das in diesem traurigen zwanzigsten Jahrhundert so selten geworden ist: die Freude der Tugend.
Der erste Eindruck, den die Tatsache der Menschwerdung in uns hervorruft, ist der Gedanke eines sinnlich wahrnehmbaren, uns sehr nahe stehenden Gottes. Vor der Menschwerdung war Gott für unser menschliches Gefühl das, was für einen Sohn ein unendlich guter Vater ist, der jedoch in weiter Ferne wohnt. Von allen Seiten empfingen wir Beweise seiner Güte. Es fehlte uns jedoch das persönliche Glückserlebnis seiner Zärtlichkeit, nie hatten wir seinen göttlich tiefen, ernst verständnisvollen, edel liebevollen Blick auf uns ruhen sehen. Nie hatten wir den Klang seiner Stimme vernommen. Die Menschwerdung verwandelt sich für uns in die überschwängliche Freude dieser ersten Begegnung, in das Glück des ersten Blickes, in die zärtliche Wahrnehmung des ersten Lächelns, in die Überraschung und den Trost der ersten Augenblicke vertrauten Beisammenseins. Und deshalb wird an Weihnachten jedes Gefühl ausladender, jede Freundschaften großzügiger, jede Güte gegenwärtiger in der Welt.
Die Weihnachtsfreude geht jedoch mit einem Ausdruck großer Feierlichkeit einher. Wir können zwar sagen, dass Weihnachten einerseits das Fest der Demut ist, andererseits ist es aber auch eine Feier. Tatsächlich ruft uns die Menschwerdung das Verständnis eines Gottes ins Gedächtnis, der in der innigsten und tiefsten Verbindung, die es in der ganzen Schöpfung gibt, das Elend der menschlichen Natur angenommen hat. So wie es, von Gott her gesehen, zum Ausdruck einer fast unermesslichen Herablassung kam, so wurde hinwiederum dem Menschen eine fast unsagbare Erhöhung zuteil. Unsere Natur erfuhr eine Ehre, wie wir sie uns nie hätten vorstellen können. Unsere Würde nahm zu. Wir wurden rehabilitiert, geadelt, glorifiziert.
Deshalb haben die Weihnachtsfesttage irgendwie etwas diskret und vertraut Feierliches an sich. Man schmückt das Heim wie sonst nur an den wichtigsten Feiertagen, jeder trägt seine schönsten Kleider und begegnet den andern mit besonderer Höflichkeit. Im Lichte der Krippe verstehen wir, was für eine Ehre und Seligkeit es ist, nach Natur und Gnade Geschwister Jesu zu sein.
In der weihnachtlichen Freude klingt auch irgendwie der Jubel des begnadigten Gefangenen, des geheilten Kranken mit. Es ist ein Jubel der Überraschung, des Wohlbefindens und der Dankbarkeit.
Jesus Christus ist gekommen, um uns zu zeigen, dass die Gnade uns die Pfade der Tugend erschließt, sodass wir nun in die Lage versetzt werden, schon auf Erden die wahre Freude zu verspüren, die nicht von den Ausschweifungen und Verwirrungen der Sünde, sondern von Ausgeglichenheit, Strenge, Zufriedenheit und Askese ausgeht. Weihnachten lässt uns die Freude an der nun ausübbaren Tugend fühlen, die hier auf Erden eine Vorwegnahme der himmlischen Glückseligkeit ist.
Es gibt kein Weihnachten ohne Engel. Wir fühlen uns eins mit ihnen und nehmen an der ewigen Freude teil, die sie erfüllt. An diesem Tag versuchen unsere Lieder die ihrigen nachzuahmen. Wir sehen den Himmel vor uns offen stehen, und die Gnade trägt uns schon jetzt einer übernatürlichen Ordnung entgegen, in der die Freude alles übersteigt, was das menschlichen Herz sich ausdenken kann. Denn wir wissen nun, dass mit Weihnachten die Niederlage der Sünde und des Todes ihren Anfang genommen hat, wissen, dass es der Beginn eines Weges ist, der uns Auferstehung und Himmel entgegen führen wird. An Weihnachten singen wir von der Freude der erlösten Unschuld, von der Freude der Auferstehung des Fleisches, von der Freude der Freuden, die in der ewigen Anschauung Gottes liegt.
Wenn daher die Glocken in einigen Tagen der Christenheit das heilige Weihnachtsfest verkünden, wird wieder einmal heilige Freude auf Erden herrschen.
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