Prägende Erfahrungen
Abt
Odilo Lechner
Aus
dem Nachlass meines eben verstorbenen Vaters erhielt ich ein Schreiben mit
letzten Weisungen. Dabei lag ein Brief, der schon vor 36 Jahren verfasst war.
Er hatte ihn kurz nach meiner Geburt geschrieben, vorsorglich, weil er, schon
im 48. Lebensjahr stehend, mit der Möglichkeit eines baldigen Todes rechnete
und mir einige Worte für mein Leben mitgeben wollte, wenn er mich, „nicht mehr
erziehen und beschützen könne, „bis ich groß geworden bin“. Unter anderem steht
in diesem Brief: „Bist du gesund und erfreust Du Dich guter Geistesgaben, so
danke Gott dafür und nütze die verliehenen Gaben recht aus. Solltest Du mit
irgendeinem Fehler behaftet sein, so fühle Dich ja nicht zurückgesetzt
gegenüber anderen, sondern trage jedes Leid als Fügung und Gnade Gottes
geduldig und bedenke, dass nur de Mensch wahrhaft glücklich und mit seinem
Schicksal zufrieden ist, der die ihm übertragene Aufgaben – mögen sie auch noch
so gering erscheinen – nach seinen besten Kräften erfüllt.“
Der
Brief mahnt mich zum Vertrauen auf Gott und die Mutter Gottes, zur Meidung
jeder schlechten Gesellschaft und Versuchung und zu Freude an Gottes schöner
Natur ... Dieser Brief forderte mich zu einem großen Vertrauen zu meiner Mutter
auf. Als ich ihn erhielt, war sie freilich schon lange gestorben ... Der Vater
war von sehr ernsthaftem Verantwortungsgefühl und von einer tiefen Frömmigkeit
erfüllt. So las er täglich ein Kapitel aus der „Nachfolge Christi“ von Thomas
von Kempen und erfuhr dabei Tröstung und Beruhigung bei allen Sorgen, die ihn
bedrängten.
Quelle: Wo
das Herz zu Hause ist – Quellen innerer Kraft – Hrsg.: Ulrich Sander –
Herde-Verlag, Freiburg, Basel, Wien
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