Wachsam warten – Die leise Verheißung des Advents

„Aus dem Baumstumpf Jesajas wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Der Geist des Herrn lässt sich nieder auf ihm...“ (Jes 11,1 f).

Der Ursprung unseres Heiles ist klein, zart und empfindlich – so unscheinbar, dass man ihn leicht übersehen kann. Gott, der Schöpfer des Alls, kommt in schwacher, verborgener Gestalt zu uns.

Wenn wir den Blick für die leisen Zeichen seiner Gegenwart verlieren – ein Babylächeln, spielende Kinder, Freunde, die uns Mut machen –, geraten wir in die Gefahr der Verzweiflung. Doch das Kind von Bethlehem, der unbekannte Mann aus Nazareth, der angefeindete Prediger, der leidende Christus am Kreuz fordert unsere ganze Aufmerksamkeit.

Unsere Erlösung geschieht mitten in einer Welt, die laut ruft, schreit und uns mit ihren Ansprüchen überrollt. Doch die wahre Verheißung liegt verborgen in dem unscheinbaren Reis, das aus dem Baumstumpf sprosst.

Jesus mahnt uns in den Evangelien zur Wachsamkeit, und der Apostel Paulus ruft der Gemeinde in Rom zu:

„Brüder, die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.“ (Röm 13,11f)

Dieses freudige Erwarten des Kommens Gottes gibt unserem Leben Richtung und Hoffnung. Seine Verheißung erfüllt sich auf unserem Weg, und das Weihnachtsgeheimnis bleibt eine Quelle des Trostes:

Wir sind nicht allein. Der Gott der Liebe ist unser Wegbegleiter – zu jeder Zeit und an jedem Ort.

Henri Nouwen

(Aus: „Weihnachten mit Henri Nouwen, Texte für alle Tage der Advents- und Weihnachtszeit“, Herder Freiburg, Basel, Wien. In „Betendes Gottesvolk“ 2010/4 Nr. 244)