Weihbischof Athanasius Schneider zu „Amoris Laetitiae“
„Amoris
laetitia“:
Klärungsbedarf
zur Vermeidung einer allgemeinen Verwirrung
Das Paradox der widersprüchlichen Interpretationen von „Amoris
laetitia“
Das vor kurzem veröffentlichte Apostolische
Schreiben „Amoris Laetitia“ (AL), das einen großen spirituellen und pastoralen
Reichtum für das Leben in der Ehe und in der christlichen Familie unserer
Epoche enthält, hat bereits innerhalb kurzer Zeit sogar im Bereich des
Episkopats widersprüchliche Interpretationen hervorgerufen.
Es gibt Bischöfe und Priester, die
öffentlich und offen erklärten, dass AL eine sehr klare Öffnung für die
Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene geliefert habe, ohne von diesen
ein Leben in Enthaltsamkeit zu verlangen. In diesem Aspekt der sakramentalen
Praxis, die sich laut ihnen nun auf bedeutsame Weise geändert habe, liege der
wirklich revolutionäre Charakter von AL. AL mit Blick auf die irregulären Paare
interpretierend, erklärte der Vorsitzende einer Bischofskonferenz in einem auf
der Internetseite dieser Bischofskonferenz veröffentlichten Text:
„Es handelt sich um eine Maßnahme der
Barmherzigkeit, um eine Öffnung von Herz, Verstand und Geist, für die es weder
ein Gesetz braucht noch irgendeine Direktive oder Richtlinien. Man kann und
soll sie sofort in die Praxis umsetzen.“
Diese Ansicht wurde zusätzlich durch die
jüngsten Erklärungen von Pater Antonio Spadaro SJ bestätigt, der nach der
Bischofsynode von 2015 geschrieben hatte, dass die Synode die „Grundlage“ für
den Zugang der wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion geschaffen hatte,
indem sie „eine Tür öffnete“, die bei der vorherigen Synode von 2014 noch
verschlossen geblieben war. Nun, sagt Pater Spadaro in seinem Kommentar zu AL,
wurde seine Ankündigung bestätigt. Man sagt, dass Pater Spadro selbst Teil der
redaktionellen Gruppe von AL angehört habe.
Der Weg für die missbräuchlichen
Interpretationen scheint sogar von Kardinal Christoph Schönborn angestoßen
worden zu sein, der während der offiziellen Vorstellung von AL in Rom im
Zusammenhang mit den irregulären Verbindungen gesagt hatte:
„Meine große Freude an diesem Dokument ist,
dass es konsequent die künstliche, äußerliche, fein säuberliche Trennung von ,regulär‘ und ,irregulär‘ überwindet“.
Eine solche Äußerung vermittelt den
Eindruck, dass es keinen klaren Unterschied zwischen einer gültigen und
sakramentalen Ehe und einer irregulären Verbindung gebe, oder zwischen einer
lässlichen und tödlichen Sünde gebe.
Auf der anderen Seite gibt es Bischöfe, die
behaupten, dass AL im Licht des immerwährenden Lehramtes der Kirche gelesen
werden müsse und dass AL nicht die Kommunion für die wiederverheirateten
Geschiedenen erlaubt, auch nicht im Ausnahmefall. Grundsätzlich ist diese
Feststellung richtig und wünschenswert. In der Tat sollte jeder Text des
Lehramtes generell in seinem Inhalt mit dem vorherigen Lehramt bruchlos
übereinstimmen.
Dennoch ist es kein Geheimnis, dass in
verschiedenen Orten die geschiedenen und wiederverheirateten Personen zur
Heiligen Kommunion zugelassen sind, ohne dass sie enthaltsam leben. Einige
Aussagen von AL können realistischerweise dazu herangezogen werden, diesen
bereits seit einiger Zeit an verschiedenen Orten des kirchlichen Lebens
praktizierten Missbrauch zu rechtfertigen.
Einige Aussagen von AL eignen sich objektiv für Missinterpretationen
Der Heilige Vater, Papst Franziskus, hat
uns alle eingeladen, einen Beitrag zum Nachdenken und zum Dialog über die
heiklen, die Ehe und die Familie betreffenden Fragen zu leisten. „Die Reflexion
der Hirten und Theologen wird uns, wenn sie kirchentreu, ehrlich, realistisch
und kreativ ist, zu größerer Klarheit verhelfen“ (AL, 2).
Analysiert man mit intellektueller
Redlichkeit einige Aussagen von AL in ihrem Kontext, stellt man eine
Schwierigkeit fest, sie gemäß der überlieferten Lehre der Kirche zu
interpretieren. Dieser Umstand erklärt sich durch das Fehlen der konkreten und
ausdrücklichen Bekräftigung der beständigen, auf dem Wort Gottes beruhenden und
von Papst Johannes Paul II. bekräftigte Lehre und Praxis der Kirche, der sagt:
„ Die Kirche bekräftigt jedoch ihre auf die
Heilige Schrift gestützte Praxis, wiederverheiratete Geschiedene nicht zum
eucharistischen Mahl zuzulassen. Sie können nicht zugelassen werden; denn ihr
Lebensstand und ihre Lebensverhältnisse stehen in objektivem Widerspruch zu
jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche, den die Eucharistie
sichtbar und gegenwärtig macht. Darüber hinaus gibt es noch einen besonderen
Grund pastoraler Natur: Ließe man solche Menschen zur Eucharistie zu, bewirkte
dies bei den Gläubigen hinsichtlich der Lehre der Kirche über die
Unauflöslichkeit der Ehe Irrtum und Verwirrung.
Die Wiederversöhnung im Sakrament der Buße,
das den Weg zum Sakrament der Eucharistie öffnet, kann nur denen gewährt
werden, welche die Verletzung des Zeichens des Bundes mit Christus und der
Treue zu ihm bereut und die aufrichtige Bereitschaft zu einem Leben haben, das
nicht mehr im Widerspruch zur Unauflöslichkeit der Ehe steht. Das heißt
konkret, dass, wenn die beiden Partner aus ernsthaften Gründen - zum Beispiel
wegen der Erziehung der Kinder - der Verpflichtung zur Trennung nicht
nachkommen können, ‚sie sich verpflichten, völlig enthaltsam zu leben, das
heißt, sich der Akte zu enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind‘„
(Familiaris Consortio, 84).
Papst Franziskus hat „keine neue, auf alle
Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art“ (AL, 300)
festgelegt. In der Fußnote 336 erklärt er allerdings: „Auch nicht auf dem
Gebiet der Sakramentenordnung, da die Unterscheidung erkennen kann, dass in
einer besonderen Situation keine schwere Schuld vorliegt.“ Mit offensichtlichem
Bezug auf die wiederverheirateten Geschiedenen sagt der Papst in AL, Nr. 305: „Aufgrund
der Bedingtheiten oder mildernder Faktoren ist es möglich, dass man mitten in
einer objektiven Situation der Sünde – die nicht subjektiv schuldhaft ist oder
es zumindest nicht völlig ist – in der Gnade Gottes leben kann, dass man lieben
kann und dass man auch im Leben der Gnade und der Liebe wachsen kann, wenn man
dazu die Hilfe der Kirche bekommt.“ In der Fußnote 351 erklärt der Papst seine
Feststellung mit den Worten: „In gewissen Fällen könnte es auch die Hilfe der
Sakramente sein.“
Im selben Achten Kapitel von AL (Nr. 298)
spricht der Papst von den „Geschiedenen in einer neuen Verbindung, [...] mit
neuen Kindern, mit erwiesener Treue, großherziger Hingabe, christlichem
Engagement, mit dem Bewusstsein der Irregularität der eigenen Situation und
großer Schwierigkeit, diese zurückzudrehen, ohne im Gewissen zu spüren, dass
man in neue Schuld fällt. Die Kirche weiß um Situationen, in denen ‚die beiden
Partner aus ernsthaften Gründen – zum Beispiel wegen der Erziehung der Kinder –
der Verpflichtung zur Trennung nicht nachkommen können‘.“ In der Fußnote 329
zitiert der Papst das Dokument Gaudium et spes leider auf eine nicht korrekte
Weise, weil das Konzil sich in diesem Fall allein auf die gültige christliche
Ehe bezieht. Die Anwendung dieser Aussage auf die Geschiedenen kann den
Eindruck erwecken, dass die gültige Ehe, wenn nicht in der Theorie, so doch in
der Praxis einer Verbindung von Geschiedenen gleichgestellt wird.
Die Zulassung der wiederverheirateten Geschiedenen zur Heiligen
Kommunion und ihre Folgen
AL fehlt es leider an den wörtlichen
Wiedergaben der Grundsätze der Morallehre der Kirche in der Form, wie sie in
Nr. 84 des Apostolischen Schreibens Familiaris Consortio und der Enzyklika
Veritatis Splendor von Papst Johannes Paul II. verlautbart sind, besonders zu
folgenden Thema von grösster Wichtigkeit: „Grundoption“ (Veritatis splendor,
67-68), „Todsünde und läßliche Sünde“ (ebd. 69-70), „Proportionalismus“, „Konsequentialismus“
(ebd. 75), „das Martyrium“ und „die universalen und unveränderlichen sittlichen
Normen“ (ebd. 91ff). Das wörtliche Zitieren der Nr. 84 von Familiaris Consortio
und einiger, zentraler Stellen von Veritatis splendor würden AL vor heterodoxen
Interpretationen schützen. Allgemeine Anspielungen auf moralische Grundsätze
und auf die Lehre der Kirche sind mit Sicherheit unzureichend in einem so
umstrittenen Bereich, der von ebenso delikater wie entscheidender Bedeutung
ist.
Einige Vertreter des Klerus und auch des
Episkopats behaupten bereits, dass laut dem Geist des Achten Kapitels von AL in
Ausnahmefällen die wiederverheirateten Geschiedenen zur Heiligen Kommunion
zugelassen werden können, ohne dass von ihnen leben in völliger Enthaltsamkeit
verlangt werde.
Wenn man eine solche Interpretation von
Buchstaben und Geist von AL zulässt, müsste man, aufgrund von intellektueller
Redlichkeit und des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch, folgende logische
Schlussfolgerungen akzeptieren.
- Das Sechste Gebot Gottes, das jeden
sexuellen Akt außerhalb der gültigen Ehe verbietet, wäre nicht mehr universal
gültig, wenn Ausnahmen zugelassen wären. Im konkreten Fall: Die Geschiedenen
könnten den sexuellen Akt vollziehen und werden sogar dazu ermutigt zum Zweck,
die gegenseitige „Treue“ zu bewahren (vgl. AL, 298). Daraus würde sich eine „Treue“
ergeben in einem Lebensstil, der direkt dem ausdrücklichen Willen Gottes
widerspricht. Zudem hieße es, der Göttlichen Offenbarung zu widersprechen,
würde man Handlungen ermutigen und rechtfertigen, die in sich und immer im
Widerspruch zum Willen Gottes sind.
- Das göttliche Wort Christi: „Was aber
Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Mt 19,6) wäre damit
nicht mehr immer und ausnahmslos für alle Eheleute gültig.
- Es wäre in einem besonderen Fall möglich,
das Bußsakrament und die Heilige Kommunion zu empfangen mit der Absicht direkt
die göttlichen Gebote „Du sollst nicht die Ehe brechen“ (Ex. 20,14), und „Was
aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Mt 19,6; Gen 2,24)
zu missachten.
- Die Einhaltung dieser Gebote und des
Wortes Gottes würde in diesen Fällen nur in der Theorie, aber nicht in der Praxis
geschehen und damit würden die wiederverheirateten Geschiedenen verleitet, „sich
selbst zu betrügen“ (Jak 1,22). Man könnte also durchaus den völligen Glauben
an den göttlichen Charakter des Sechsten Gebotes und der Unauflöslichkeit der
Ehe haben, aber ohne die entsprechenden Werke.
- Das Göttliche Wort Christi: „Wer seine
Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, der begeht Ehebruch ihr
gegenüber. Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe
entlässt und einen anderen heiratet“ (Mk 10,12) hätte also keine universale
Gültigkeit mehr, sondern würde Ausnahmen zulassen.
- Die ständige, bewusste und freie
Verletzung des Sechsten Gebotes Gottes und der Heiligkeit und der
Unauflöslichkeit der eigenen gültigen Ehe (im Falle von wiederverheirateten
Geschiedenen) wäre also nicht mehr eine schwere Sünde, oder eine direkte
Widersetzung gegen den Willen Gottes.
- Damit kann es auch Fälle einer
schwerwiegenden, ständigen, bewussten und freien Verletzung der anderen Gebote
Gottes (zum Beispiel im Fall eines Lebensstils der Finanzkorruption) geben, bei
denen einer bestimmten Person aufgrund mildernder Umstände der Zugang zu den
Sakramenten zugesprochen werden könnte, ohne von ihr eine ehrliche Bereitschaft
zu verlangen, in Zukunft die sündhaften Handlungen und das Ärgernis zu
vermeiden.
- Die immerwährende und unfehlbare Lehre
der Kirche wäre nicht mehr universal gültig, im besonderen die von Papst
Johannes Paul II. in Familiaris Consortio Nr. 84 und von Papst Benedikt XVI. in
Sacramentum caritatis Nr. 29 bekräftigte Lehre, laut der die völlige
Enthaltsamkeit Bedingung für Geschiedene ist, um die Sakramente empfangen zu
können.
- Die Befolgung des Sechsten Gebotes Gottes
und der Unauflöslichkeit der Ehe wäre damit ein irgendwie nur für eine Elite,
nicht aber für alle erreichbares Ideal.
- Die kompromisslosen Worte Christi, die
alle Menschen ermahnen, die Gebote Gottes immer und unter allen Umständen zu
befolgen, und dafür auch beachtliche Leiden in Kauf zu nehmen, anders ausgedrückt,
auch das Kreuz anzunehmen, wären in ihrer Wahrheit nicht mehr gültig: „Und wenn
dich deine rechte Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg!
Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verlorengeht, als dass
dein ganzer Leib in die Hölle kommt“ (Mt 5,30).
Paare, die in einer „irregulären Verbindung“
leben, zur Heiligen Kommunion zuzulassen, indem man ihnen erlaubt, die den
Ehepartnern der gültigen Ehe vorbehaltenen Akte zu praktizieren, käme der
Anmaßung einer Macht gleich, die keiner menschlichen Autorität zusteht, weil
damit der Anspruch erhoben würde, das Wort Gottes korrigieren zu wollen.
Gefahren einer Kollaboration der Kirche in der Verbreitung der „Scheidungsplage“
Die Kirche lehrt uns, indem sie die
immerwährende Lehre Unseres Herrn Jesus Christus bekennt: „In Treue zum Herrn
kann die Kirche die Verbindung der zivil wiederverheirateten Geschiedenen nicht
als Ehe anerkennen. „Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere
heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn
sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet“ (Mk 10,11-12).
Die Kirche schenkt diesen Menschen aufmerksame Zuwendung und lädt sie zu einem
Leben aus dem Glauben, zum Gebet, zu Werken der Nächstenliebe und zur
christlichen Erziehung der Kinder ein. Doch solange diese Situation fortdauert,
die dem Gesetz Gottes objektiv widerspricht, können sie nicht die sakramentale
Lossprechung empfangen, nicht zur heiligen Kommunion hinzutreten und gewisse kirchliche
Aufgaben nicht ausüben“ (Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche,
349).
In einer ungültigen ehelichen Verbindung zu
leben, mit der man ständig dem Gebot Gottes und der Heiligkeit und
Unauflöslichkeit der Ehe widerspricht, bedeutet, nicht in der Wahrheit zu
leben. Zu erklären, dass das willentliche, freie und gewohnheitsmäßige
Praktizieren sexueller Handlungen in einer ungültigen ehelichen Verbindung in
einem konkreten Fall nicht mehr eine schwere Sünde sein könnte, ist nicht die
Wahrheit, sondern eine schwere Lüge und wird daher nie zu einer wirklichen
Freude in Liebe führen. Diesen Personen den Empfang der Heiligen Kommunion zu
erlauben, bedeutet Simulation, Heuchelei und Lüge. Das Wort Gottes in der
Heiligen Schrift gilt: „Wer sagt: Ich habe ihn erkannt!, aber seine Gebote
nicht hält, ist ein Lügner und die Wahrheit ist nicht in ihm“ (1 Joh 2,4).
Das Lehramt der Kirche lehrt uns die
Gültigkeit der Zehn Gebote Gottes: „Weil die zehn Gebote die Grundpflichten des
Menschen gegenüber Gott und dem Nächsten zum Ausdruck bringen, sind sie ihrem
Wesen nach schwerwiegende Verpflichtungen. Sie sind unveränderlich, sie gelten
immer und überall. Niemand kann von ihnen dispensieren“ (KKK, 2072). Jene, die
behauptet haben, dass die Gebote Gottes und besonders das Gebot „Du sollst
nicht die Ehe brechen“ Ausnahmen haben könnten und in manchen Fällen sogar die
Schuld für die Scheidung nicht anrechenbar sei, waren Pharisäer und später die
christlichen Gnostiker des zweiten und dritten Jahrhunderts.
Die folgenden Aussagen des Lehramtes
bleiben immer gültig, weil sie Teil des unfehlbaren Lehramtes in der Form des
universalen und ordentlichen Lehramtes sind:
„Die negativen Gebote des Naturgesetzes
sind allgemein gültig: sie verpflichten alle und jeden einzelnen allezeit und
unter allen Umständen. Es handelt sich in der Tat um Verbote, die eine
bestimmte Handlung semper et pro semper verbieten, ohne Ausnahme, [...]es gibt
Verhaltensweisen, die niemals, in keiner Situation, eine angemessene [...]
Lösung sein können. [...] Die Kirche hat immer gelehrt, dass Verhaltensweisen,
die von den im Alten und im Neuen Testament in negativer Form formulierten
sittlichen Geboten untersagt werden, nie gewählt werden dürfen. Wie wir gesehen
haben, bestätigt Jesus selber die Unumgänglichkeit dieser Verbote: ‚Wenn du das
Leben erlangen willst, halte die Gebote! ... Du sollst nicht töten, du sollst
nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch
aussagen‘ (Mt 19, 17-18)“ (Johannes Paul II, Enzyklika Veritatis splendor, 52).
Das Lehramt der Kirche lehrt es uns noch
viel deutlicher: „Das gute und reine Gewissen wird durch den wahren Glauben
erleuchtet, denn die christliche Liebe geht gleichzeitig „aus reinem Herzen,
gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben“ hervor“ (1 Tim 1,5) [Vgl. 1 Tim 3,9;
2 Tim 1,3; 1 Petr 3,21; Apg 24,16]“ (KKK, 1794).
Für den Fall, dass eine psychisch gesunde
Person moralisch objektiv schwerwiegende Handlungen in vollem Bewusstsein, in
freier Entscheidung und mit der Absicht diese Handlung in der Zukunft zu
wiederholen, setzt, ist es unmöglich den Grundsatz der Nicht-Anrechenbarkeit
der Schuld aufgrund mildernder Umstände anzuwenden. Die Anwendung des
Grundsatzes der Nicht-Anrechenbarkeit auf diese Paare der wiederverheirateten
Geschiedenen wäre eine Heuchelei und ein gnostischer Sophismus. Wenn die Kirche
diese Personen auch nur in einem einzigen Fall zur Heiligen Kommunion zulässt,
würde sie dem widersprechen, was sie in der Lehre bekennt, indem sie selbst ein
öffentliches Zeugnis gegen die Unauflöslichkeit der Ehe geben und damit zur
weiteren Verbreitung der „Plage der Scheidung“ (II. Vatikanisches Konzil,
Gaudium et spes, 47) beitragen würde.
Um einen solchen unerträglichen und
Ärgernis erregenden Widerspruch zu vermeiden, hat die Kirche in unfehlbarer
Auslegung der Göttlichen Wahrheit des Moralgesetzes und der Unauflöslichkeit
der Ehe, für zweitausend Jahre unveränderlich und ohne Ausnahme oder besonderes
Privileg die Praxis befolgt, zur Heiligen Kommunion nur jene Geschiedenen zuzulassen,
die in völliger Enthaltsamkeit leben und unter „Vermeidung eines Ärgernisses“ („remoto
scandalo“).
Die erste pastorale Aufgabe, die der Herr
Seiner Kirche anvertraut hat, ist die Unterweisung und die Lehre (Vgl. Mt
28,20). Die Befolgung der Gebote Gottes ist intrinsisch mit der Lehre
verbunden. Aus diesem Grund hat die Kirche immer den Widerspruch von Lehre und
Leben zurückgewiesen und einen solchen Widerspruch als gnostisch verurteilt,
ebenso die häretische lutherische Lehre des „simul iustus et peccator“.
Zwischen dem Glauben und dem Leben der Kinder der Kirche sollte es keinen
Widerspruch geben.
Wenn es um die Befolgung der von Gott
gegebenen Gebote und die Unauflöslichkeit der Ehe geht, kann man nicht von
gegensätzlichen theologischen Interpretationen sprechen. Wenn Gott gesagt hat: „Du
sollst nicht die Ehe brechen“, kann keine menschliche Autorität sagen: aber „in
einem besonderen Fall oder für einen guten Zweck kannst du die Ehe brechen“.
Folgende Aussagen von Papst Franziskus sind
sehr wichtig, wo der Papst über die Einbindung der wiederverheirateten
Geschiedenen in das Leben der Kirche spricht:
Diese Unterscheidung kann „niemals von den
Erfordernissen der Wahrheit und der Liebe des Evangeliums, die die Kirche
vorlegt, absehen [...] Damit dies geschieht, müssen [...] die notwendigen
Voraussetzungen der Demut, der Diskretion, der Liebe zur Kirche und ihrer Lehre
verbürgt sein. [...] wird das Risiko vermieden, dass eine bestimmte
Unterscheidung daran denken lässt, die Kirche vertrete eine Doppelmoral“ (AL,
300). Diese lobenswerten Aussagen von AL bleiben jedoch ohne konkreten Hinweise
auf die Verpflichtung der wiederverheirateten Geschiedenen, sich zu trennen
oder zumindest in völliger Enthaltsamkeit zu leben.
Wenn es um Leben oder Tod des Körpers geht,
würde kein Arzt die Dinge im Zweifel lassen. Der Arzt kann nicht zum Patienten
sagen: „Sie müssen die Anwendung der Medizin gemäß Ihrem Gewissen und in
Beachtung der Gesetze der Medizin entscheiden.“ Ein solches Verhalten eines
Arztes würde ohne jeden Zweifel als verantwortungslos betrachtet. Das Leben der
unsterblichen Seele ist jedoch noch wichtiger, denn von der Gesundheit der
Seele hängt ihr Schicksal für die ganze Ewigkeit ab.
Die freimachende Wahrheit der Buße und des Kreuzesgeheimnisses
Zu behaupten, wiederverheiratete
Geschiedene seien keine öffentlichen Sünder, bedeutet, etwas Falsches
vorzutäuschen. Abgesehen davon: Sünder zu sein, ist der wahre Zustand aller
Glieder der streitenden Kirche auf Erden. Wenn die wiederverheirateten Geschiedenen
sagen, dass ihre willentlichen und absichtlichen Handlungen gegen das Sechste
Gebot Gottes keineswegs Sünde oder schwere Sünde seien, betrügen sie sich
selbst und die Wahrheit ist nicht in ihnen, wie der heilige Evangelist Johannes
sagt: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die
Irre und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er
treu und gerecht; er vergibt uns die Sünden und reinigt uns von allem Unrecht.
Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, machen wir ihn zum Lügner und
sein Wort ist nicht in uns“ (1 Joh 8-10).
Von Seiten der wiederverheirateten
Geschiedenen die Wahrheit anzuerkennen, dass sie Sünder und auch öffentliche
Sünder sind, nimmt ihnen nichts von ihrer christlichen Hoffnung. Nur die
Anerkennung der Wirklichkeit und der Wahrheit befähigt sie, nach den Worten
Jesu Christi, den Weg einer fruchtbringenden Buße zu beschreiten.
Es wäre sehr gesund, den Geist der ersten
Christen und der Zeit der Kirchenväter wiederherzustellen, als es eine
lebendige Solidarität der Gläubigen mit den öffentlichen Sündern gab und vor
allem eine Solidarität gemäß der Wahrheit. Eine Solidarität, die nichts
Diskriminierendes hatte; im Gegenteil, es gab die Teilnahme der ganzen Kirche
am Bußweg der öffentlichen Sünder durch das Fürbittgebet, die Tränen, die
Bußübungen und die Werke der Nächstenliebe zu ihren Gunsten.
Das Apostolische Schreiben Familiaris
Consortio lehrt, dass „auch diejenigen, die sich vom Gebot des Herrn entfernt
haben und noch in einer solchen Situation leben, von Gott die Gnade der Umkehr
und des Heils erhalten können, wenn sie ausdauernd geblieben sind in Gebet,
Buße und Liebe“ (Nr. 84).
Während der ersten Jahrhunderte waren die
öffentlichen Sünder in die betende Gemeinschaft der Gläubigen integriert und
hatten auf den Knien und mit erhobenen Armen die Fürsprache ihrer Brüder zu
erflehen. Tertullian gibt uns ein berührendes Zeugnis davon: „Der Körper kann
sich nicht erfreuen, wenn eines seiner Glieder leidet. Es ist notwendig, dass
er als Ganzes betrübt ist und an seiner Heilung arbeitet. Wenn du auf den Knien
die Hände zu deinen Brüdern erhebst, ist es Christus, den du berührst, ist es
Christus, den du anflehst. Ebenso ist es Christus, der mitleidet, wenn sie
Tränen für dich vergießen“ (De poenitentia, 10, 5-6). Auf dieselbe Weise sagt
der heilige Ambrosius von Mailand: „Die ganze Kirche hat das Joch des
öffentlichen Sünders auf sich geladen und leidet mit ihm durch Tränen, Gebet
und Schmerz“ (De poenitentia, 1, 81).
Es stimmt, dass sich die Bußdisziplin der
Kirche geändert hat, aber der Geist dieser Disziplin muss in der Kirche aller
Zeiten bleiben. Heute beginnen einige Priester und Bischöfe, unter Berufung auf
einige Aussagen von AL, den wiederverheirateten Geschiedenen zu verstehen zu
geben, dass ihr Zustand nicht dem objektiven Zustand von öffentlichen Sündern
entspricht. Sie beruhigen sie, indem sie sagen, dass ihre sexuellen Handlungen
keine schwere Sünde seien. Eine solche Haltung entspricht nicht der Wahrheit.
Sie berauben die wiederverheirateten Geschiedenen der Möglichkeit zu einer
radikalen Umkehr zum Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes, indem sie diese
Seelen in der Illusion lassen. Eine solche pastorale Haltung ist billig, denn
sie kostet nichts. Sie kostet keine Tränen, keine Gebete und keine Werke der
Fürsprache und der brüderlichen Buße zugunsten der wiederverheirateten
Geschiedenen.
Indem man auch nur in Ausnahmefällen
wiederverheiratete Geschiedene zur Heiligen Kommunion zulässt, ohne von ihnen
ein Ende ihrer Handlungen gegen das Sechste Gebot Gottes zu verlangen, und
zudem sogar noch anmaßend behauptet, diese Handlungen seien nicht einmal
schwere Sünde, wählt man den leichten Weg und vermeidet das Ärgernis des
Kreuzes. Eine solche Seelsorge für wiederverheiratete Geschiedene ist eine
kurzlebige und betrügerische Seelsorge. An alle, die den wiederverheirateten
Geschiedenen einen solchen leichten und billigen Weg vorgaukeln, richtet Jesus
auch heute diese Worte: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst
mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern
was die Menschen wollen. Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wer mein Jünger
sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir
nach“ (Mt 16,23-24).
Was die Seelsorge für die
wiederverheirateten Geschiedenen betrifft, ist heute auch der Geist
wiederzubeleben, Christus in der Wahrheit des Kreuzes und der Buße zu folgen,
die allein zur beständigen Freude führt und die flüchtigen Freuden zu meiden,
die letztlich betrügerisch sind. Folgende Worte des heiligen Papstes Gregors
des Großen sind wirklich aktuell und erhellend: „Wir dürfen uns nicht zu sehr
an unser irdisches Exil gewöhnen, die Bequemlichkeiten dieses Lebens dürfen uns
nicht unsere wahre Heimat vergessen machen, so dass unser Geist nicht schläfrig
wird inmitten der Bequemlichkeiten. Aus diesem Grund fügt Gott Seinen Gaben
Seine Heimsuchungen oder Strafen hinzu, auf dass alles was uns bezaubert auf
dieser Welt für uns bitter wird und sich in der Seele jenes Feuer entfacht, das
uns immer von Neuem zum Wunsch nach den himmlischen Dingen drängt und uns
vorankommen lässt. Dieses Feuer verwundet uns auf angenehme Weise, es kreuzigt
uns sanft und betrübt uns freudig“ (In Hez, 2,4,3).
Der Geist der authentischen Bußdisziplin
der Kirche der ersten Jahrhunderte hat in der Kirche aller Zeiten bis heute
fortgewirkt. Wir haben zum Beispiel das bewegende Beispiel der seligen Laura
del Carmen Vicuna, die 1891 in Chile geboren wurde. Schwester Azocar, die Laura
gepflegt hat, berichtete: „Ich erinnere mich, dass Laura, als ich ihr zum
ersten Mal das Ehesakrament erklärte, in Ohnmacht fiel, weil sie durch meine
Worte verstanden hatte, dass ihre Mutter sich im Zustand der Todsünde befand,
solange sie mit ihrem Mann zusammenblieb. Zu jener Zeit gab es in Junin nur ein
einzige Familie, die in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes lebte.“
Von da an vermehrte sie Gebet und Buße für
ihre Mutter. Am 2. Juni 1901 empfing sie mit großem Eifer die erste Heilige
Kommunion. Dazu schrieb sie folgendes: „1. Ich will Dich, oh mein Jesus, lieben
und Dir mein ganzes Leben dienen, deshalb biete ich Dir meine ganze Seele, mein
Herz und mein ganzes Sein. 2. Ich möchte lieber sterben, als Dich durch Sünde
zu beleidigen, deshalb will ich mich von allem fernhalten, das mich von Dir
trennen könnte. 3. Verspreche ich Dir, alles mir Mögliche zu tun, damit Du
besser erkannt und mehr geliebt wirst und um die Beleidigung wiedergutzumachen,
die Dir jeden Tag die Menschen zufügen, die Dich nicht lieben, besonders jene,
die Dir von denen zugefügt werden, die mir nahe sind. Oh mein Gott, schenke mir
ein Leben der Liebe, der Abtötung und des Opfers!“
Ihre große Freude ist jedoch verdunkelt,
weil sie sieht, dass die bei der Feier anwesende Mutter nicht zur Kommunion
geht. 1902 bietet Laura ihr Leben für die Mutter, die mit einem Mann in einer
irregulären Beziehung in Argentinien lebt. Laura betet noch mehr und unterzieht
sich Entbehrungen, um die Bekehrung der Mutter zu erlangen. Wenige Stunden bevor
sie stirbt, ruft sie die Mutter zu sich. Dem Sterben nahe ruft sie aus: „Mama,
ich werde sterben. Ich habe Jesus darum gebeten. Ihm habe ich mein Leben für
die Gnade Deiner Rückkehr angeboten. Mama, werde ich die Gnade haben, Deine
Umkehr zu sehen, bevor ich sterbe?“ Erschüttert verspricht die Mutter: „Morgen
früh werde ich in die Kirche gehen, um zu beichten.“ Laura sucht darauf den
Blick des Priester und sagt ihm: „Pater, meine Mutter verspricht in diesem
Moment, jenen Mann zu verlassen. Seien Sie Zeuge dieses Versprechens!“ Dann
fügt sie hinzu: „Nun sterbe ich zufrieden!“ Mit diesen Worten hauchte sie im
Alter von 13 Jahren am 22. Januar 1904 in Junín de los Andes (Argentinien) in
den Armen ihrer Mutter ihr Leben aus, die ihren Glauben wiederfand und der irregulären
Beziehung, in der sie lebte, ein Ende setzte.
Das bewundernswerte Beispiel des Lebens des
seligen Mädchens Laura ist ein Beweis dafür, wie ernst ein wirklicher Katholik
das Sechste Gebot Gottes und die Heiligkeit und Unauflöslichkeit der Ehe nimmt.
Unser Herr Jesus Christus ermahnt uns, auch nur den Schein einer Zustimmung zu
irregulären Verbindungen oder dem Ehebruch zu vermeiden. Dieses göttliche Gebot
hat die Kirche immer ohne Zweideutigkeit in der Lehre und der Praxis treu
bewahrt und weitergegeben. Man gibt sein Leben nicht für eine mögliche
doktrinelle oder pastorale Interpretation hin, aber für die unveränderliche und
universal gültige göttliche Wahrheit. Diese Wahrheit wurde bewiesen durch die
Lebenshingabe zahlreicher Heiliger, vom heiligen Johannes dem Täufer bis zu
einfachen Gläubigen unserer Tage, deren Namen nur Gott kennt.
Notwendigkeit einer „veritatis laetitia“
Das Dokument AL enthält sicher und zum
Glück theologische Aussagen und spirituelle und pastorale Hinweise von großem
Wert. Dennoch ist es realistischerweise ungenügend zu sagen, dass AL gemäß der
überlieferten Lehre und Praxis der Kirche zu interpretieren sei. Wenn in einem
kirchlichen Dokument, dem in unserem Fall der definitive und unfehlbare
Charakter fehlt, Interpretations- und Anwendungselemente festgestellt werden,
die gefährliche geistliche Folgen haben können, haben alle Glieder der Kirche
und in erster Linie die Bischöfe als brüderliche Mitarbeiter des Papstes in der
effektiven Kollegialität die Pflicht, dieses Tatsache respektvoll aufzuzeigen
und um eine authentische Interpretation zu ersuchen.
Wenn es sich um den göttlichen Glauben
handelt, um die göttlichen Gebote und die Heiligkeit und Unauflöslichkeit der
Ehe, müssen alle Glieder der Kirche von den einfachen Gläubigen bis zu den
höchsten Vertretern des Lehramtes eine gemeinsame Anstrengung vollbringen, um
den Glaubensschatz und seine praktische Anwendung intakt zu bewahren.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat gelehrt:
„Das heilige Gottesvolk nimmt auch teil an dem prophetischen Amt Christi, in
der Verbreitung seines lebendigen Zeugnisses vor allem durch ein Leben in
Glauben und Liebe, in der Darbringung des Lobesopfers an Gott als Frucht der
Lippen, die seinen Namen bekennen (vgl. Hebr 13,15). Die Gesamtheit der
Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben (vgl. 1 Joh 2,20.27), kann
im Glauben nicht irren. Und diese ihre besondere Eigenschaft macht sie durch
den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes dann kund, wenn sie „von den
Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien“ (22) ihre allgemeine
Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert. Durch jenen
Glaubenssinn nämlich, der vom Geist der Wahrheit geweckt und genährt wird, hält
das Gottesvolk unter der Leitung des heiligen Lehramtes, in dessen treuer
Gefolgschaft es nicht mehr das Wort von Menschen, sondern wirklich das Wort
Gottes empfängt (vgl. 1 Thess 2,13), den einmal den Heiligen übergebenen
Glauben (vgl. Jud 3) unverlierbar fest. Durch ihn dringt es mit rechtem Urteil
immer tiefer in den Glauben ein und wendet ihn im Leben voller an“ (Lumen
gentium, 12). Das Lehramt seinerseits „ist nicht über dem Wort Gottes, sondern
dient ihm, indem es nichts lehrt, als was überliefert ist“ (Dei Verbum, 10).
Es war gerade das Zweite Vatikanische
Konzil, das alle Gläubigen und vor allem die Bischöfe ermutigte, furchtlos ihre
Sorgen und Beobachtungen mit Blick auf das Wohl der ganzen Kirche zu bekunden.
Unterwürfigkeit und politische Korrektheit verursachen dem Leben der Kirche ein
unheilvolles Übel. Der berühmte Bischof und Theologe des Konzils von Trient,
Melchior Cano OP äußerte diesen denkwürdigen Satz:
„Petrus braucht nicht unsere Lügen und
unsere Schmeicheleien. Jene, die blind und unterschiedslos jede Entscheidung
des Papstes verteidigen, sind jene, die am meisten die Autorität des Heiligen
Stuhls untergraben: sie zerstören seine Fundamente anstatt sie zu stärken.“
Unser Herr hat uns ohne Zweideutigkeit
gelehrt, worin die wahre Liebe und die wahre Freude der Liebe bestehen: „Wer
meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt“ (Joh 14, 21). Indem
Gott den Menschen das Sechste Gebot gab und die Unauflöslichkeit der Ehe, gab
Er sie ausnahmslos allen und nicht nur einer Elite. Bereits im Alten Testament
hat Gott erklärt: „Dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht
über deine Kraft und ist nicht fern von dir“ (Dtn 30,11) und „Wenn du willst,
kannst du das Gebot halten; / Gottes Willen zu tun ist Treue“ (Sir 15,15).
Jesus sagte zu allen: „Er antwortete: Was fragst du mich nach dem Guten? Nur
einer ist «der Gute». Wenn du aber das Leben erlangen willst, halte die Gebote!
Darauf fragte er ihn: Welche? Jesus antwortete: Du sollst nicht töten, du
sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch
aussagen“ (Mt 19,17-18). Die Apostel haben uns dieselbe Lehre übermittelt: „Denn
die Liebe zu Gott besteht darin, dass wir seine Gebote halten. Seine Gebote
sind nicht schwer“ (1 Joh 5,3).
Es gibt kein wirkliches, übernatürliches
und ewiges Leben ohne Beachtung der Gebote Gottes. „Ich verpflichte dich, die
Gebote des Herren zu beachten. Hiermit lege ich dir heute das Leben und den Tod vor. Wähle das Leben!“ (Dtn
30,15-19). Es gibt also kein wahres Leben und keine authentische Freude der
Liebe ohne die Wahrheit. „Denn die Liebe besteht darin, dass wir nach seinen
Geboten leben“ (2 Joh 1,6). Die Freude der Liebe besteht in der Freude der
Wahrheit. Das authentische christliche Leben besteht im Leben und in der Freude
der Wahrheit: „Ich habe keine größere Freude, als zu hören, dass meine Kinder
in der Wahrheit leben“ (3 Joh 1,4).
Der heilige Augustinus erklärt uns die
innige Verbindung zwischen der Freude und der Wahrheit: „Ich frage alle, ob sie
nicht die Freude der Wahrheit jener der Lüge vorziehen. Und sie zögern hier
ebensowenig wie bei der Frage über das Glück. Weil das glückliche Leben in der
Freude der Wahrheit besteht, wollen wir alle die Freude der Wahrheit“
(Confessiones, X, 23).
Die Gefahr einer allgemeinen Verwirrung über die Unauflöslichkeit
der Ehe
Seit einiger Zeit ist an einigen Orten im
Leben der Kirche der stillschweigende Missbrauch festzustellen, die
wiederverheirateten Geschiedenen zur Heiligen Kommunion zuzulassen, ohne von
ihnen ein Leben in völliger Enthaltsamkeit zu verlangen. Die wenig klaren
Aussagen des Achten Kapitels von AL haben den erklärten Verfechtern dieser
Zulassung neuen Schwung verliehen.
Wir können nun feststellen, dass der
Missbrauch sich in der Praxis weiter ausbreitet, weil er sich in gewisser Weise
legitimiert fühlt. Zudem herrscht Verwirrung über die Interpretation besonders
der Aussagen im Achten Kapitel von AL. Die Verwirrung wird auf die Spitze
getrieben, weil beide Seiten, sowohl die Verfechter einer Zulassung der
wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion als auch deren Gegner behaupten,
dass „die Lehre der Kirche in diesem Bereich nicht geändert wurde“.
Bei allen historischen und doktrinellen
Unterschieden weist unsere aktuelle Situation einige Ähnlichkeiten und
Analogien mit der allgemeinen Verwirrung auf, die im vierten Jahrhundert
während der arianischen Krise herrschte. Damals wurde der überlieferte
apostolische Glauben an die wahre Gottheit des Sohnes Gottes durch den Begriff „wesensgleich“
(homoousios) garantiert, der vom universalen Lehramt des ersten Konzils von
Nicäa dogmatisch verkündet worden war. Die tiefe Glaubenskrise mit einer
universalen Verwirrung wurde vor allem durch die Ablehnung oder die Vermeidung
verursacht, das Wort „wesensgleich“ (homoousios) zu gebrauchen. Anstatt diesen
Begriff zu gebrauchen, verbreitete sich im Klerus und vor allem im Episkopat
der Gebrauch von Alternativformeln, die zweideutig und unpräzise war, wie „wesensähnlich“
(homooiousios) oder einfach nur „ähnlich“ (homoios). Die Formel „homoousios“
des universalen Lehramtes jener Zeit drückte die volle und wahre Gottheit des
WORTES auf so klare Weise aus, dass es keinen Spielraum für mißverständliche
Interpretationen gab.
In den Jahren 357-360 war fast der gesamte
Episkopat arianisch oder semi-arianisch geworden wegen der nachfolgenden
Ereignisse: Im Jahr 357 unterzeichnete Papst Liberius eine der zweideutigen
Formeln von Sirmium, in der der Begriff „homoousios“ nicht mehr vorkam. Zudem
exkommunizierte der Papst auf skandalöse Weise den heiligen Athanasius. Der
heilige Hilarius von Poitiers war der einzige Bischof, der Papst Liberius für
diese Handlungen scharf tadelte. Im Jahre 359 verabschiedeten zwei
Parallelsynoden des lateinischen Episkopats in Rimini und des griechischen
Episkopats in Seleukia völlig arianische Formeln, die noch schlimmer waren, als
die von Papst Liberius unterzeichnete Formel. Der heilige Hieronymus beschrieb
die Verwirrung jener Zeit mit den Worten: „Es stöhnte der ganze Erdkreis und
wunderte sich, dass er arianisch geworden war“ (Ingemuit totus orbis et arianum
se esse miratus est, Adv. Lucif., 19).
Man kann sagen, dass unsere Epoche durch
eine große Verwirrung gekennzeichnet ist, was die sakramentale Disziplin für
die wiederverheirateten Geschiedenen anbelangt. Es besteht die reale Gefahr, dass
diese Verwirrung sich in großem Rahmen ausbreitet, wenn wir nicht die Formel
des universalen und unfehlbaren Lehramtes verkünden und zwar: „Die
Wiederversöhnung im Sakrament der Buße, das den Weg zum Sakrament der
Eucharistie öffnet, kann nur denen gewährt werden, [...] ‚die sich
verpflichten, völlig enthaltsam zu leben, das heißt, sich der Akte zu
enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind‘„ (Familiaris Consortio, 84).
Diese Formel fehlt leider aus unverständlichen Gründen in AL. AL enthält
hingegen auf ebenso unerklärliche Weise folgende Erklärung: „Viele, welche die
von der Kirche angebotene Möglichkeit, ‚wie Geschwister‘ zusammenzuleben,
kennen und akzeptieren, betonen, dass in diesen Situationen, wenn einige
Ausdrucksformen der Intimität fehlen, ‚nicht selten die Treue in Gefahr geraten
und das Kind in Mitleidenschaft gezogen werden [kann]‘„ (AL, Fußnote 329).
Diese Aussage hinterlässt den Eindruck eines Widerspruchs mit der immergültigen
Lehre des universalen Lehramtes, wie sie in Familiaris Consortio Nr. 84
formuliert ist.
Es ist daher dringend notwendig, dass der
Heilige Stuhl die zitierte Formel von Familiaris Consortio, Nr. 84 bekräftigt
oder erneut verkündet, eventuell in Form einer authentischen Interpretation von
AL. Diese Formel könnte unter bestimmten Aspekten als „homoousios“ unserer Tage
angesehen werden. Die fehlende offizielle und ausdrückliche Bekräftigung der
Formel von Familiaris Consortio Nr. 84 durch den Apostolischen Stuhl könnte zu
einer immer größer werdenden Verwirrung in der sakramentalen Disziplin
beitragen mit graduellen und unvermeidlichen Auswirkungen auf doktrineller
Ebene. Auf diese Weise würde eine Situation entstehen, auf die man in Zukunft
folgende Feststellung anwenden könnte: „Es stöhnte der ganze Erdkreis und wunderte
sich, dass er in der Praxis die Scheidung akzeptiert hatte“ (Ingemuit totus
orbis, et divortium in praxi se accepisse miratus est).
Eine Verwirrung der sakramentalen Disziplin
gegenüber den wiederverheirateten Geschiedenen mit den sich daraus ergebenden
doktrinellen Implikationen würde der Natur der katholischen Kirche
widersprechen, so wie es vom heiligen Irenäus im zweiten Jahrhundert
beschrieben wurde: „Die Kirche, die diese Unterweisung und diesen Glauben
empfangen hat. Und obwohl sie über die ganze Welt verstreut ist, bewahrt sie
sie mit Sorgfalt, als würde sie einem einzigen Haus wohnen; und auf dieselbe
Weise glaubt sie diese Wahrheit, so als hätte sie sie eine einzige Seele; und
sie verkündet sie, lehrte sie und gibt sie weiter mit einer Stimme, so als
hätte sie nur einen einzigen Mund“ (Adversus haereses, I,10,2).
Der Sitz des Petrus, d.h. der Papst, ist
der Garant der Einheit des Glaubens und der sakramentalen apostolischen
Disziplin. Angesichts der unter Priestern und Bischöfen entstandenen Verwirrung
was die sakramentale Praxis bezüglich der wiederverheirateten Geschiedenen
betrifft, und die Interpretation von AL, ist ein Appell an unseren lieben Papst
Franziskus, den Stellvertreter Christi und „süßen Christus auf Erden“ (heilige
Katharina von Siena) als berechtigt anzusehen, dass er die Veröffentlichung
einer authentischen Interpretation von AL anordnet., die notwendigerweise eine
ausdrückliche Erklärung des disziplinären Prinzips des universalen und
unfehlbaren Lehramtes bezüglich der Zulassung zu den Sakramenten der
wiederverheirateten Geschiedenen enthalten müsste, so wie sie in der Nr. 84 von
Familiaris Consortio formuliert ist.
In der großen arianischen Verwirrung des 4.
Jahrhunderts richtete der heilige Basilius der Große einen dringenden Appell an
den Papst von Rom, damit er mit seinem Wort eine klare Richtung vorgebe, um
endlich die Einheit des Denkens im Glauben und in der Liebe zu erreichen (vgl.
Ep. 70).
Eine authentische Interpretation von AL
durch den Apostolischen Stuhl könnte für die ganze Kirche eine Freude in der
Klarheit (claritatis laetitia) bringen. Diese Klarheit würde eine Liebe in der
Freude (amoris laetitia) garantieren, eine Liebe und eine Freude, die nicht
nach dem Denken der Menschen, sondern nach dem Denken Gottes (vgl. Mt 16,23)
wäre.
Das ist es, was zählt für die Freude, das
Leben und das ewige Heil der wiederverheirateten Geschiedenen und für alle
Menschen.
+ Athanasius Schneider
Weihbischof des Erzbistums der
Allerseligsten Jungfrau Maria zu Astana
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